Mathematik: Brachistochrone revisited
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Analysis

\(\begingroup\) Bildbeschreibung Brachistochrone revisited Als ich mir zuletzt das Brachistochronenproblem wieder durch den Kopf gehen ließ, ist mir ein schnellerer und unkomplizierterer Weg eingefallen, das Endergebnis zu erhalten. Insbesondere kann auf den Apparat der Variationsrechnung ganz verzichtet werden, wenn man das Snellius'sche Gesetz als Resultat eines Minimalprinzips auffaßt.

Das Huygenssche Prinzip und das Gesetz von Snellius Nach der Legende soll Jakob Bernoulli (1654 - 1705, Abbildung oben) an das Problem mittels einer Analogie zum Weg von Lichtstrahlen durch unterschiedlich stark brechende Medien herangegangen sein. Warum verhalten sich Lichtstrahlen - oder allgemein jede Welle - eigentlich so, daß sie in jedem Medium den Weg finden, auf dem sie die kürzeste Zeit brauchen? Dem Prinzip von Huygens zufolge breiten sich Wellen so aus, daß jeder Punkt der Wellenfront wieder zum Ausgangspunkt einer Kugelwelle wird, und die Einhüllende aller dieser Kugelwellen nach einer gewissen Zeit bildet die Wellenfront nach dieser Zeit. Ein Strahl ist dann eine Kurve, die orthogonal auf diesen Wellenfronten steht. Die Welle breitet sich also jederzeit in alle Richtungen aus und "findet" so auch immer die Richtung, in der sie am schnellsten fortschreiten kann. Wird ein ausgezeichneter Punkt erstmals von der Wellenfront erfaßt, so beschreibt derjenige Strahl, der durch diesen Punkt geht und senkrecht auf allen vorherigen Wellenfronten steht, den "Weg" des Lichts durch ein Medium. Beim Weg vom Punkt \displaystyle A zum Punkt \displaystyle B, die nicht genau senkrecht übereinander liegen, durch einen Kristall mit zwei unterschiedlich stark brechenden Zonen der Dicke \displaystyle h_1 und \displaystyle h_2 gibt es auf der Grenzfläche einen Abknickpunkt, der den Laufweg in zwei Teile jeweils gleicher Steigung, \displaystyle m_1 und \displaystyle m_2, zerlegt. Im ersten Medium (mit der Brechzahl \displaystyle n_1) kann die Lichtwelle mit \displaystyle c/n_1 = v_1 laufen, im zweiten (mit der Brechzahl \displaystyle n_2) mit \displaystyle v_2 = c/n_2. Die Zeit, die dafür insgesamt gebraucht wird, ist \displaystyle \frac{h_1 \cdot n_1}{c} \cdot \sqrt{1+m_1^2} + \frac{h_2 \cdot n_2}{c} \cdot \sqrt{1+m_2^2}. Bildbeschreibung Abbildung 1: Zur Herleitung des Brechungsgesetzes In einer kleinen Umgebung um den Abknickpunkt können h_1, h_2 vernachlässigt (bzw. gleich 1 gesetzt) werden. Minimiert wird der Ausdruck \displaystyle n_1 \cdot \sqrt{1+m_1^2} + n_2 \cdot \sqrt{1+m_2^2} unter der Nebenbedingung, daß \displaystyle m_1 + m_2 = K der horizontale Abstand zwischen \displaystyle A und \displaystyle B ist. Der vertikale Abstand sei in diesem Maßstab gleich 2. \displaystyle n_1 \cdot \sqrt{1+m_1^2}+n_2 \cdot \sqrt{1+(K-m_1)^2} \rightarrow \min. Differenzieren nach \displaystyle m_1 liefert \displaystyle n_1 \cdot \frac{m_1}{\sqrt{1+m_1^2}} - n_2 \cdot \frac{K - m_1}{\sqrt{1+(K-m_1)^2}} = 0, \displaystyle n_1 \cdot \frac{m_1}{\sqrt{1+m_1^2}} = n_2 \cdot \frac{m_2}{\sqrt{1+m_2^2}}, \displaystyle n_1 \cdot \sin(\alpha_1) = n_2 \cdot \sin(\alpha_2). Damit ist das Brechungsgesetz von Snellius als Minimalprinzip hergeleitet. Der Ausdruck \displaystyle \sin(\alpha) \cdot n = n \cdot \frac{m}{\sqrt{1+m^2}} = n \cdot \frac{1}{\sqrt{1+\frac{1}{m^2}}} ist im Verlauf des Strahlengangs also eine Konstante. \displaystyle \frac{1}{m} ist die lokale Steigung \displaystyle y' des Strahlenganges. Damit die Analogie aus der Wellenoptik zum Brachistochronenproblem paßt, muß man aus der Erhaltung der Gesamtenergie den Zusammenhang \displaystyle n \sim \frac{1}{\sqrt{y}} ableiten: Die Geschwindigkeit \displaystyle v des Körpers entspricht der kinetischen Energie \displaystyle \frac{1}{2} \cdot m \cdot v^2, die dem sich aus dem Höhenverlust \displaystyle y ergebenden Verlust an Lageenergie \displaystyle g \cdot m \cdot y gleich ist. Also ist \displaystyle v = \sqrt{2 \cdot g \cdot y}, und die lokale Brechzahl \displaystyle c/v muß proportional zu \displaystyle \frac{1}{\sqrt{y}} modelliert werden. Daraus erhält man die Differentialgleichung \displaystyle \sqrt{1+y'^2} \cdot \sqrt{y} = C, die man in explizite Form bringt: \displaystyle y' = \sqrt{\frac{C-y}{y}}
Ein kleiner Satz über die Ableitung der Umkehrfunktion Der Graph der Umkehrfunktion \displaystyle f^{-1} einer Funktion \displaystyle f entsteht durch Spiegelung an der Winkelhalbierenden \displaystyle y = x. Demnach hat der Graph von \displaystyle f^{-1} an der Stelle \displaystyle (f(x),x) die Steigung \displaystyle 1/f'(x), und man leitet die Gleichung ab: \displaystyle (f^{-1})'(x) = \frac{1}{f'(f^{-1}(x))}. Bildbeschreibung Abbildung 2: Zur Herleitung der Differentialgleichung für die Umkehrfunktion Hat man die explizite Differentialgleichung für \displaystyle y gegeben als \displaystyle y' = F(x,y) und ist der Weg zur direkten Lösung kompliziert oder unmöglich, so kann man mit Hilfe dieser Formel eine u.U. einfacher lösbare Differentialgleichung für die Umkehrfunktion aufstellen und diese lösen, so daß man zumindest den exakten Verlauf der Lösungskurve angeben kann. Sei dazu \displaystyle z die Umkehrfunktion von \displaystyle y. Dann ergibt sich \displaystyle z' = \frac{1}{y'(y^{-1})} = \frac{1}{y'(z)} = \frac{1}{F(z,y(z))} = \frac{1}{F(z,x)}. Die Vertauschung der beiden Argumente im Nenner ist leicht zu merken, da beim Übergang zur Umkehrfunktion die Rollen von \displaystyle x und \displaystyle y ohnehin vertauscht werden. Angewendet auf eine autonome Differentialgleichung, d.h. eine der Form \displaystyle y' = F(y) erhält man so sogar eine Gleichung, die durch einfaches Integrieren zu lösen ist, da die Gleichung für die Umkehrfunktion \displaystyle z damit zu \displaystyle z' = \frac{1}{F(x)} vereinfacht wird. Damit gehen wir das Brachistochronenproblem jetzt an und erhalten \displaystyle z' = \sqrt{\frac{x}{C-x}}, was wir nun ohne "schweres Geschütz" integrieren können. Zunächst substituieren wir \displaystyle x durch \displaystyle w := 2/C \cdot x: \displaystyle z' = \frac{dz}{dx} = \frac{dz}{dw} \cdot \frac{dw}{dx} = 2/C \cdot \frac{dz}{dw}, \displaystyle \frac{dz}{dw} = C/2 \cdot z' = C/2 \cdot \frac{\sqrt{C/2 \cdot w}}{\sqrt{C-C/2 \cdot w}} \displaystyle = \frac{(\sqrt{C/2})^3 \cdot \sqrt{w}}{\sqrt{C/2} \cdot \sqrt{2-w}} \displaystyle = C/2 \cdot \sqrt{\frac{w}{2-w}} Nun ersetzen wir \displaystyle w durch \displaystyle 1+v: \displaystyle \frac{dz}{dw} = \frac{dz}{dv}, \displaystyle \frac{dz}{dv} = C/2 \cdot \sqrt{\frac{1+v}{2-(1+v)}} = C/2 \cdot \frac{\sqrt{1+v}}{\sqrt{1-v}} \displaystyle = C/2 \cdot \frac{1+v}{\sqrt{1+v} \cdot \sqrt{1-v}} \displaystyle = C/2 \cdot \left( \frac{1}{\sqrt{1-v^2}} + \frac{v}{\sqrt{1-v^2}} \right) Schließlich wird integriert und rücksubstituiert: \displaystyle z = -C/2 \cdot \left(\arccos(v) + \sqrt{1-v^2} \right) + K (*) \displaystyle = -C/2 \cdot (\arccos(w-1) + \sqrt{1-(w-1)^2)} + K \displaystyle = -C/2 \cdot \left( \arccos(2/C \cdot x - 1) + \sqrt{1-(2/C \cdot x - 1)^2} \right) + K \displaystyle = -C/2 \cdot \arccos(2/C \cdot x - 1) - C/2 \cdot \sqrt{1-(1-4/C \cdot x + 4/C^2 \cdot x^2)} + K \displaystyle = -C/2 \cdot \arccos \left( \frac{2 \cdot x}{C} - 1 \right) - \sqrt{C \cdot x - x^2} + K Bildbeschreibung Abbildung 3: Der Zykloidenbogen ist die Lösung des Brachistochronen-Problems Die beiden Transformationen bedeuten geometrisch eine affine Ähnlichkeitstransformation, durch welche die Gestalt der Lösungskurve nicht geändert wird. Da \displaystyle \sqrt{1-v^2} = \sin(\arccos(v)), kann man bei (*) bereits erkennen, daß die Lösungskurve ein nach oben geöffneter Zykloidenbogen sein muß, bei der sich die horizontale Komponente wie \displaystyle t + \sin(t) und die vertikale wie \displaystyle -\cos(t) verhält. In der Tat hätte man die Gleichung \displaystyle y' = \sqrt{\frac{C-y}{y}} nicht direkt lösen können, da für den waagerechten Zykloidenbogen kein elementarer Funktionsterm angebbar ist. Die konkrete Wahl der beiden Konstanten \displaystyle C und \displaystyle K hängt von der Dimension des Problems ab, insbesondere vom Verhältnis des horizontalen und des vertikalen Abstandes zwischen \displaystyle A und \displaystyle B.
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: Analysis :: Optimierung :: Jakob Bernoulli :: Gesetz von Snellius :: klassische Probleme :: Variationsrechnung :
Brachistochrone revisited [von shadowking]  
Lösung des Brachistochronenproblems mit elementaren (Schul-) Mitteln und ohne den Apparat der Variationsrechnung.
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von: am: Do. 01. Januar 1970 01:00:00
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