Konstruktion des regelmäßigen Siebzehnecks
Von: Yakob
Datum: Mi. 19. Oktober 2016 20:06:15
Thema: Mathematik

Eine siebzehnstrahlige "Sonne"

Überlegungen zur Vereinfachung der Konstruktion des regulären 17-Ecks

Das Wappen der durch Gemeindefusion im Jahr 2011 entstandenen Gemeinde "Glarus Süd" zeigt eine siebzehnstrahlige gelbe Sonne auf blauem Grund:

Das ist unter den Wappensymbolen eine absolute Rarität. In der Heraldik kommen zum Beispiel Sonnen mit 8, 12, 16 oder 32 Strahlen vor. Sie haben den (wenigstens für frühere Wappendesigner wichtigen) Vorteil, dass man die entsprechenden regelmäßigen Vielecke mit den klassischen Methoden der Geometrie, also mittels Zirkel und Lineal, exakt konstruieren kann. Eine Ausnahme ist da etwa die 28-strahlige Sonne im Wappen von Wiesbaden-Sonnenberg. Das reguläre 28-Eck ist nicht ZL-konstruierbar, weil dies schon für das reguläre Siebeneck nicht der Fall ist. Für die meisten Laien ziemlich unbegreiflich ist deshalb, dass die Konstruktion des regelmäßigen 17-Ecks trotzdem möglich sein soll. Für den vorliegenden Artikel habe ich, ausgehend von den früher bekannten, recht komplizierten und unübersichtlichen Konstruktionen, eine wesentlich einfachere und kurze Darstellung entwickelt.

Warum gerade 17 Strahlen ?

Bei einer der größten Gemeindefusionen der vergangenen Jahre in der Schweiz vereinigten sich im Jahr 2011 frühere 17 Gemeinden des Kantons Glarus zur (damals) flächengrößten Gemeinde der Schweiz: Glarus Süd. Dieser Rekord wurde allerdings kurze Zeit später durch eine andere Gemeindefusion im Unterengadin (Kanton Graubünden) schon wieder (ganz knapp) übertroffen. Für die neu durch die Fusion entstandene Gemeinde suchte man ein neues Wappen. Zu diesem Zweck wurde ein Wettbewerb ausgeschrieben, aus welchem dann ein Entwurf als Sieger hervorging, in welchem eine siebzehnstrahlige Sonne auf blauem Grund erscheint:
Symbolisch steht also jeder einzelne "Strahl" für eine der Teilgemeinden, die nun vereinigt sind zur Großgemeinde "Glarus Süd" . Diese Gemeindebezeichnung weckt ja auch schon fast mediterrane Gefühle, die bestimmt durch die leuchtende Sonne im Wappen tatkräftig unterstützt werden sollen ... Als Mathematiker, der aus einer der 17 nun vereinigten Gemeinden stammt, fand ich diese Wahl nach einigem Überlegen sehr interessant, wusste ich doch, dass das regelmäßige Siebzehneck tatsächlich mittels Zirkel und Lineal exakt konstruierbar ist, was manche, denen man dies sagt, zunächst kaum glauben mögen. Dass man ein regelmäßiges 16-Eck leicht konstruieren kann, sieht jeder ein. Wer aus der Schule die Konstruktionen für regelmäßige Drei- und Fünfecke kennt, kann auch, nach einigem Überlegen, verstehen, dass das reguläre 15-Eck ebenfalls konstruierbar sein müsste - aber dann ein 17-Eck ??

Geniestreich eines 19-Jährigen am Ende des 18. Jahrhunderts

Einer der sehr großen Mathematiker des 18./19. Jahrhunderts, Carl Friedrich Gauß, entdeckte schon als 19-Jähriger, dass es möglich sein muss, eine exakte Konstruktion für dieses regelmäßige Vieleck durchzuführen. Auf diese Erkenntnis kam er nicht auf rein geometrischem Weg, sondern in erster Linie durch tiefgründige algebraische Überlegungen auch mittels komplexer Zahlen. Darauf soll hier nicht weiter eingegangen werden, obwohl dies ebenfalls ein sehr interessantes Thema wäre. Soweit mir bekannt ist, kennen wir keinen eigentlichen Konstruktionsentwurf für das reguläre 17-Eck, der auf Gauß selber zurückginge. Ausgehend von der Formel, die er herleitete:
\cos {\frac {360^{\circ }}{17}}={\frac {1}{16}}\left(-1+{\sqrt {17}}+{\sqrt {2\left(17-{\sqrt {17}}\right)}}+2{\sqrt {17+3{\sqrt {17}}-{\sqrt {2\left(17-{\sqrt {17}}\right)}}-2{\sqrt {2\left(17+{\sqrt {17}}\right)}}}}\,\right)
eine Konstruktion herzuleiten, die nicht fürchterlich kompliziert würde, ist nämlich eine sehr schwierige Aufgabe. Ja, Sie lesen richtig: Manchmal ist es tatsächlich sehr schwierig, die Dinge so einfach darzustellen, wie sie es im Kern sind ! Erste publizierte Konstruktionsvorschriften gehen (laut Wikipedia) auf die Jahre um 1820 zurück. Gauß hatte die Konstruierbarkeit an sich schon über 20 Jahre vorher bewiesen. In späteren Jahrzehnten wurden diese frühen Konstruktionen durch weitere Mathematiker weiter bearbeitet und teilweise vereinfacht. Näheres kann man da nachlesen: de.wikipedia.org/wiki/Siebzehneck

Konzentration auf das Wesentliche

Als ich mir nun die Konstruktionszeichnungen und -beschreibungen bei Wikipedia genau anschaute, wurde mir klar, dass man diese deutlich vereinfachen könnte, wenn man sich sowohl in der Konstruktion als auch in der Beschreibung auf das Notwendige beschränken würde. Wenn man insbesondere nicht immer komplette Kreise, sondern nur die für die Fortsetzung der Konstruktion notwendigen Kreisbögen darstellt, wird die Zeichnung wesentlich übersichtlicher. Auch die Konstruktionsbeschreibung kann man - ohne Verlust der Exaktheit - recht kurz fassen und dabei zusätzlich durch geschickte Wahl der Bezeichnungen den Konstruktionsweg in seinen einzelnen Schritten verdeutlichen. In der Konstruktion habe ich auf die Darstellung der eigentlichen Zielfigur (Siebzehneck) verzichtet. Sobald zwei (im Prinzip beliebige) Eckpunkte auf dem Umkreis lokalisiert sind (hier P_0 = O und P_3\ ), kann das Vieleck durch wiederholtes Abtragen der entsprechenden Sehnenlänge rings um den Kreis herum leicht vervollständigt werden.

Grundkonstruktion:

Beschreibung:


 

Aufgaben für Interessierte

Für diejenigen, die sich mit der Konstruktion eingehender beschäftigen möchten, könnte ich folgende Übungen vorschlagen:

1.) Konstruktion durchführen

Jedem, der noch mit Zirkel und Lineal umzugehen weiß, würde ich empfehlen, die Konstruktion tatsächlich durchzuführen und damit zuerst einmal praktisch zu testen, ob es wirklich "passt". Natürlich würde sich auch etwa Geogebra für die Nachkonstruktion eignen.

2.) Verifikation (numerisch)

Genauer als durch zeichnerische Konstruktion kann man die Konstruktion durch Nachrechnen prüfen: man stellt die fortlaufend im Konstruktionsgang auftretenden wesentlichen Streckenlängen mittels Ausdrücken dar, die sich aus ganzen Zahlen und der \ \ \sqrt{17}\ \ durch geschachtelte Bruch- und Wurzelterme aufbauen. Sinnvollerweise geht man dabei z.B. von einem Umkreisradius r = 4 aus. Die einzelnen Schritte dabei sind eigentlich recht elementar (Pythagoras, Teilverhältnisse etwa bei Winkelhalbierenden) - die Schwierigkeit besteht in der Akkumulation der Bruch- und Wurzelterme. Man wird deshalb bald einmal gerne zum Rechner greifen und wenigstens noch numerisch nachprüfen, wie exakt man für P_3 bzw. für den Punkt D die richtigen Koordinaten findet, welche man auch auf anderem Weg trigonometrisch darstellen kann, nämlich ausgehend davon, dass \ \ |\overline{ZD}|\ =\ r*cos(\frac{6*\,\pi}{17})\ \ sein sollte, falls die Konstruktion korrekt ist.

3.) Nochmals vereinfacht: Näherungskonstruktion

Wenn man die Konstruktion praktisch durchführt, stellt man fest (falls man nicht ein sehr großes Blatt nimmt), dass die Punkte T und D anscheinend "praktisch identisch" sind. In der Tat sind sie dies aber doch nicht. Trotzdem können wir uns überlegen, wie genau die folgende weiter vereinfachte Konstruktion noch wäre: In der oben dargestellten Konstruktion verzichten wir einfach auf die Ausführung der Punkte (5.), (8.) und (9.) bzw. auf das Einzeichnen der Winkelhalbierenden AW sowie der beiden Hilfsbögen b und c . Anstatt von D aus ziehen wir die Strecke d dann ersatzweise vom Punkt T aus. Eine Aufgabe könnte also etwa darin bestehen, den Abstand zwischen den Punkten T und D zu berechnen. Man kann dann auch noch berechnen, welche relative Winkelabweichung beim Zentriwinkel \alpha\ =\ \angle OZP_3 entsteht, welcher exakt \frac{6\,\pi}{17} betragen sollte, wenn man die Konstruktion wie beschrieben abkürzt.

4.) Verifikation (exakt)

Wer sich mit obigen Vorschlägen für eine (nur) zeichnerische oder numerische Prüfung nicht begnügen kann, sieht sich natürlich vor der schwierigeren Aufgabe, sich mit den komplizierten Bruch- und Wurzeltermen herumzuschlagen, mit denen seinerzeit auch der junge Gauß umgehen musste. Auch für diese Aufgabe stehen uns heute allerdings geeignete Hilfsmittel zur Verfügung, etwa in der Form eines CAS wie in Mathematica.
 


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