Urknall
Von: trunx
Datum: So. 10. November 2019 15:35:22
Thema: Physik
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Der Urknall

Mythischer Anfang

Die Idee des Gewordenseins des Universums ist uralt, in praktisch allen Kulturen gibt es Mythen über einen Anfang der Welt. So beginnt zB. eine rituelle Formel im indogermanischen Schöpfungsmythos: "Das erfuhr ich unter den Menschen als der Wunder größtes, dass Erde nicht war, noch Himmel oben, weder Baum noch Berg noch irgendwas. Nicht schien die Sonne, nicht leuchtete der Mond, nicht breitete sich aus das herrliche Meer. (in der indischen Rigveda folgt: Weder Sein war damals noch Nichtsein.) Nichts war - nur geheimnisvoller, tiefer Abgrund." Dieses Nichts, diese dunkle Leere war kein Vakuum, sondern ein fern jeder Vorstellung mit mächtigen magischen Kräften erfüllter Ort. In der Regel entstanden dort die ersten Riesen oder vorzeitlichen Giganten und die Götter und irgendwann kam es zum Kampf zwischen den beiden, den die Götter gewannen. Aus den Überresten der Giganten erschufen die Götter dann die Welt, so wie wir sie kennen (zB. besteht das Meer oft aus dem Blut eines Riesen) und später auch die Menschen. Die Griechen nannten dieses Nichts das Chaos, im Judentum ist es als Tohuwabohu bekannt. In der Bibel (AT) beginnt die Sache einfacher: "Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde." Gott ist also bereits da und woraus er Himmel und Erde machte, wird nicht erwähnt. Im NT dagegen heisst es "Im Anfang war das Wort." Dieses Wort kann man sich vielleicht besser als Gedanke oder Gedankenblitz denken, sd. der Anfang des Universums in einer besonderen Art Strahlung, dem primären Licht Gottes bestand. Das sekundäre Licht wurde später geschaffen. Unter den christlichen Gnostikern gab es allerdings eine bezeichnende Idee, aus was Gott die Welt gemacht hat, nämlich aus dem gefallenen Erzengel Lucifer/Satan und seinen Heerscharen. In allem und jedem weltlichen Ding, einschliesslich der Menschen ist lediglich sekundäres Licht, doch durch gute Taten ist Erlösung möglich. Einzig Christus war und brachte das primäre Licht in die Welt. Nun gut. Machen wir weiter mit Physik.

Kopernikanische Wende

Auch wenn im Mythos die Schaffung des Himmels wichtig war (wegen seiner Größe als Sitz der Götter) und die Bewegung der erdnahen Objekte wie Sonne, Mond und die Planeten genau beobachtet und zur Zeitmessung in Form von Kalendern benutzt wurde, so bezog sich doch die Vorstellung vom Universum oder dem All auf eben diesen erdnahen Raum als einer endlichen Sphäre mit der Erde im Zentrum. Die Fixsterne sind quasi Spritzer an der Decke und auch wenn sie ihre eigene Geschichte haben, sind sie nützlich, weil man sich an ihnen orientieren kann. Durch die kopernikanische Wende und die newtonsche Mechanik änderte sich die Vorstellung von der Welt grundlegend. Das Universum wird nun als unendlicher Raum mit endlich vielen Sternensystemen gedacht, das ewig existiert. Für die Annahme der begrenzten Anzahl der Sternensysteme sprechen im Wesentlichen zwei Dinge: 1. das sog. Olberssche Paradoxon. Es verweist auf die Beobachtung des nächtlichen Sternenhimmels und versucht die Frage zu beantworten, warum es nachts dunkel wird. Bei unendlich vielen, ewig existierenden Sternensystemen müsste an jedem Punkt des Sternenhimmels (wenn man nur weit genug blickte) ein Stern leuchten. Der Sternenhimmel ist ja scheinbar eine endliche Kugeloberfläche; und ein Stern, selbst wenn er scheinbar noch so klein ist, nimmt am Himmel ebenfalls eine endliche Fläche ein. Daher müssten bereits endlich viele Sterne, allerdings in riesiger Zahl, den Himmel komplett überdecken. Da dies nicht der Fall ist, kann es nur endlich viele Sterne geben. Aus dieser Perspektive machte es Sinn, die Sterne zu zählen. Die Anzahl der sichtbaren Sterne beträgt mehrere Tausend. 2. der Gravitationskollaps. Die Reichweite der newtonschen Gravitation ist einerseits unendlich, anderseits wirkt sie instantan. Das Gleichgewicht der Sterne und Planeten wird aufrecht erhalten durch Rotation. Bei einer unendlichen Anzahl von Sternen allerdings müssten sich die Sterne umeinander entweder alle mit unendlicher Geschwindigkeit drehen oder kollabieren. Beides wird nicht beobachtet. Einziger Ausweg ist wieder die Annahme endlich vieler Sterne. Obwohl diese Auffassung stark rationalisiert ist, kam sie dennoch für die meisten Menschen nicht ohne Gott als Schöpfer aus. Gestritten wurde in diesem Rahmen allerdings darüber, ob die Schöpfung abgeschlossen, also Gott der perfekte Uhrmacher oder ob er in der Art der creatio continua immer noch am Wirken sei. Diese letzte Vorstellung wurde bis dahin getrieben, dass das Universum Mittel der Selbstentwicklung Gottes durch Selbstentäußerung sei (vergleiche zB. Fichte, Hegel oder Whitehead). Nur wenige Denker fanden durch weiter gehende Spekulationen zu Ideen, die gänzlich ohne einen Schöpfergott auskamen. Einer von ihnen war der englische Philosoph und Astronom Thomas Wright. Er vermutete bereits, dass die Milchstrasse eine aufgrund der newtonschen Gesetze entstandene scheibenförmige Ansammlung von Sternensystemen ist und dass andere Nebel am Himmel eben solche Milchstrassen wie die unsrige seien, nur in riesiger Entfernung. Kant führte diese Idee der Welteninseln (heute Galaxien) weiter und vermutete, dass sie wie alles Existierende in einem ständigen Wandel von Werden und Vergehen begriffen sind. Insbesondere konnte er anschaulich zeigen, wie aus einem Nebel oder einer Staubwolke durch gravitationsbedingte Kontraktion und Ableitung des Drehimpulses sich einzelne Teilwolken bilden können, aus denen dann unabhängig voneinander Sterne mit ihren Planeten und diese mit ihren Monden entstehen konnten. Wie allerdings aus einem solchen Planeten- bzw. Sternensystem durch Alterung wieder ein Nebel bzw. eine Wolke werden könne, blieb offen. Die Idee der Kantschen Nebularhypothese führte Laplace für ein Planetensystem konkreter aus. Man muss sich klar machen, dass all diese Gedanken, so plausibel sie aus heutiger Sicht sein mögen, zu ihrer Zeit hochspekulativ waren. Das erkennt man zB. in eben diesen Kantschen Schriften, in denen er auch die Bewohner von Merkur und Jupiter detailliert beschreibt, uz. sowohl körperlich als auch geistig/moralisch. Interessant an den Gedanken zu den Ausserirdischen ist allerdings, dass er bereit war dafür nicht das Menschenbild anzunehmen, sondern jede beliebige Form, so wie sie durch Anpassung an die jeweiligen planetaren Verhältnisse entstanden sein mögen.
 

Das heutige Standardmodell

Die älteste astronomische Beobachtungsform ist die Feststellung der Orte eines Objekts am Himmel zu bestimmten Zeiten. Gegenstand der newtonschen Himmelsmechanik ist daher das Verständnis und die Berechnung der so gewonnenen wirklichen Bahnen. Aus scheinbaren Bahnen von Fixsternen, deren Ursache die Bewegung der Erde um die Sonne ist (Parallaxe), lässt sich dagegen deren Entfernung ermitteln. Daran änderte auch die Entwicklung von Fernrohren seit Beginn des 17. Jahrhunderts zunächst nichts. Man konnte dadurch lediglich die Orte genauer bestimmen und das für eine größere Anzahl an Objekten (zB. für die Jupitermonde oder sonnennahe Sterne). Im 19. Jahrhundert gelang es mit der Entdeckung und Erforschung der Fraunhoferschen und der Spektrallinien das neue Beobachtungsinstrument Spektroskopie zu schaffen. Die Muster der Linien zeigt die chemische Zusammensetzung an (Spektraltyp), die Verschiebung der Muster (Rot- bzw. Blauverschiebung) die Dynamik und es lässt sich die absolute Helligkeit und damit (aufbauend auf der Parallaxe) die Entfernung auch sonnenferner Objekte ermitteln. Sämtliche sichtbaren Sterne gehören zu unserer Milchstrasse und die Ermittlung ihrer Rot- bzw. Blauverschiebung wurde über den Doppler-Effekt interpretiert als relative Radialbewegung. Dh. es gibt eine Menge Sterne, die sich auf uns zu, viele die sich von uns fort und auch eine Menge Sterne die sich radial kaum zu uns bewegen. Eine besonders ausgezeichnete Richtung gibt es dabei nicht. Beeindruckend war deshalb Hubbles Entdeckung Anfang des 20. Jahrhunderts, dass es neben unserer Galaxie noch weitere Galaxien (Nebel) gibt und dass diese sich auch noch überwiegend von uns weg bewegen. Hinzu kam zur selben Zeit die Etablierung neuer Theorien wie die Spezielle und die Allgemeine Relativitätstheorie sowie die Quantenmechanik, die das Bild von der Welt noch einmal gründlich änderten. Einstein selbst ist in seiner Vorstellung von einem statischen Universum ausgegangen und hat aus diesem Grunde auch die sog. kosmologische Konstante in seine allgemeine Relativitätstheorie (ART) eingeführt. Dennoch wurde bereits sehr früh nach Erscheinen der ART durch Friedmann 1922 eine dynamische Lösung, also einen wahlweise expandierenden bzw. kollabierenden Raum vorgestellt. Diese blieb zunächst unbeachtet bis 1929 eben durch Hubble die Nebelflucht dokumentiert wurde. Als "Vater" der Urknall-Theorie gilt der katholische Priester und Astrophysiker Georges Lemaitre. Er war sowohl mit den Arbeiten Einsteins, insbesondere aber auch mit den Friedmannschen dynamischen Lösungen von Einsteins Feldgleichungen, als auch mit den Nebelflucht Beobachtungen von Edwin Hubble vertraut. Er brachte beides zusammen und erklärte als erster die Nebelflucht als Phänomen des expandierenden Raumes. Man muss hier allerdings noch eine dritte, nicht unwesentliche Komponente mit in Betracht ziehen. Die katholische Kirche hatte in den Jahrzehnten zuvor erheblich an Einfluss in praktisch allen gesellschaftlichen Bereichen verloren, insbesondere ihr Primat über die Wissenschaft (siehe exemplarisch hier). Hier konnte Lemaitre einen Fuß in die sich schließende Tür setzen und als Anfang der Expansionsdynamik die Schöpfung durch Gott postulieren. Von dieser Idee konnte er nicht nur die katholische Kirche überzeugen (die ihn später zum Präsidenten der päpstlichen Akademie der Wissenschaften machte), sondern auch viele namhafte Wissenschaftler, darunter Einstein selbst. Auch wenn 'Big Bang' oder der Urknall als mittlerweile etablierte moderne Mythologie gilt, steckt dahinter in Wahrheit eine uralte. Im folgenden sollen kurz die gängigen Ideen zum Urknall, also der Entstehung des Universums selbst und auch für die erste sehr kurze Zeit danach vorgestellt werden. Man muss sich aber klar machen, dass diese keineswegs in trockenen Tüchern sind und es hier naturgemäß immer noch viel spekulative Bewegung gibt. Was aber mittlerweile (auch durch vielfältige Beobachtungen) fundiert ist, ist eine Theorie über die Evolution des Universums nach der fraglichen Entstehung, die wesentlich auf der Expansion des Universums beruht. Diese Urknall-Theorie im weiteren Sinne wurde seither weiter entwickelt und gilt als das Standardmodell in (Astro)Physik und Kosmologie. Demnach stellt sich die Situation kurz skizziert wie folgt dar (die Darstellung dient nur dem Überblick, die Details sind in zahlreichen Büchern sowohl wissenschaftlich als auch für Laien beschrieben und müssen von mir hier nicht wiederholt werden). Die Entstehung des Universums lt. Standardmodell ist aus theologischer Sicht eine creatio ex nihilo, also eine Schöpfung aus dem Nichts. Allerdings ist das Nichts noch nie wirklich nichts gewesen, sondern war immer ein sog. 'nahrhaftes' Nichts. Eine gute Vorstellung von dieser Art Nichts ist die Waldfläche nach einem Waldbrand. Der Wald ist nicht mehr da, es ist nichts mehr da, doch nach dem ersten Regen grünt es bereits und ein paar Jahre nach dem Brand (Ruhe vorausgesetzt) sieht man überall nicht nur die neuen, kleinen Bäumchen, sondern auch wieder viele Pflanzen- und Tierarten. In der Mathematik ist die 'nahrhafte' Null ebenfalls ein bekannter Trick. So auch in der Physik, das Nichts oder das Vakuum ist nicht einfach nichts, sondern ist ebenfalls 'nahrhaft' und dynamisch. Allgemein geht man davon aus, dass es unmittelbar nach dem Urknall im Vakuum zu sog. Vakuumfluktuationen gekommen ist, die zunächst die Raumzeit selbst betrafen (Blasen oder Quantenschaum) und nur zeitliche Bruchteile später die Bildung virtueller Teilchen und zugehöriger Antiteilchen, die sich größtenteils wieder gegenseitig vernichteten. Der Punkt ist nun, dass, grob gesprochen, Teilchen in der Zeit existieren, Antiteilchen dagegen gegen die Zeit. Physikalisch steckt dahinter aufgrund der Gültigkeit der CPT-Invarianz (für engl. Ladung, Parität, Zeit) eine Verletzung der CP-Invarianz bei bestimmten Teilchenprozessen. Dadurch überlebt sozusagen ein Bruchteil bestimmter Teilchen, es kommt zur Baryogenese. Diese Teilchen stehen trotz der Expansion des Universums in Kontakt, es bildet sich ein thermodynamischer Gleichgewichtszustand heraus. Ein Experiment, dass dieses Stadium zu verstehen helfen soll, ist die Suche nach dem elektrischen Dipolmoment von Neutronen, EDM, das es nur bei einer entsprechenden CP-Verletzung geben sollte (dass allerdings auch ein noch geringerer Bruchteil an Antiteilchen überlebt hätte, wie von manchen Physikern in Bezug auf die mögliche Existenz dieses EDMs von Neutronen postuliert wird, wage ich aufgrund der Grundstruktur der Zeit zu bezweifeln. Nicht dass es kein solches EDM geben könnte, sondern dass es eine Aussage über die Materie/Antimaterie-Verteilung im Universum machen kann). In diesem frühen Universum kommt es nun zum Kollaps des sog. Inflatonfeldes. Im wesentlichen ist dieses Feld eine dynamisch verstandene kosmologische Konstante, die zwar schon von Einstein in dessen allgemeinrelativistischen Feldgleichungen eingeführt wurde, aber so erst durch deren Vereinigung mit Quantenfeldtheorien entsteht. Die bei diesem Kollaps (oder als Übergang vom 'falschen' zum 'wahren' Vakuum bezeichneten Prozess) freiwerdende Energie führte zur inflationären, also überlichtschnellen Expansion des Universums. Damit werden dann bestimmte Probleme, wie die globale Homogenität und die Flachheit des Universums sowie etliche andere Probleme geklärt. Alle eben beschriebenen Prozesse sind Prozesse nach dem eigentlichen Urknall. Sprich, die Frage, was genau der Urknall ist oder wie genau er abgelaufen ist, bleibt zunächst weiter offen. Dennoch gibt es einige Physiker, die sich auch dieser Frage stellten. Die bekannteste Antwort stammt von S. Hawking, der sich trotz ihrer Spekulativität viele Wissenschaftler angeschlossen haben. Für ihn ist der Urknall als Singularität zunächst nur ein mathematisches Artefakt, analog zum Nordpol einer Kugel. Tatsächlich unterscheidet sich der Nordpol einer Kugel aber eigentlich durch nichts von allen anderen Punkten auf dieser Kugel. Ähnliches gilt für das Ereignis "Urknall", das bei einer singularitätsfreien Formulierung der Feldgleichungen von selbst verschwindet (also keine echte, sondern lediglich eine Koordinatensingularität sei). Eine weitere bekannte Idee ist die des zyklischen Universums - nach einer Phase der Expansion kommt es zu einem vollständigen Kollaps, der wiederum der Startpunkt einer Neugeburt eines ganz anderen, eben neuen Universums ist. Aus meiner Sicht sind beide Ideen nicht wirklich befriedigend.
 

Evolutionstheorie

Um hier meiner Meinung nach wirklich weiter zu kommen, ist es vielleicht hilfreich, sich genauer anzusehen, wie Evolution abläuft und ob es möglich ist, eine entsprechende Theorie auf die kosmologischen Prozesse zu übertragen. Beginnen wir mit der biologischen Evolution. Ich möchte auch hier nicht zu sehr ins Detail gehen, sondern lediglich auf ein allgemeineres Muster eingehen, das sich auch in anderen Evolutionsprozessen wieder finden lässt. Ausgangsprozess ist in der Biologie die einzelne Zelle, die sich selbst reproduziert. Ich bezeichne diesen Prozess als Kernprozess. Natürlich besteht dieser Kernprozess aus einer Vielzahl chemischer Reaktionen, aber Leben ist mehr als bloße Chemie und dieses Mehr ist das Verhalten des Zellorganismus' gegenüber anderen Zellorganismen und gegenüber seiner Umwelt. Der Kernprozess ist in seinem Verhalten elementar; die Entwicklung zu Mehrzellern als Zusammenschluss mehrerer Elemente lässt daraus einen zyklischen Prozess werden, einen Automatismus, der aber eine deutlich bessere Orientierung in der Umwelt zulässt. Der nächste Evolutionsschritt in der Biologie ist die Herausbildung einer ganzen Palette von Verhaltensmöglichkeiten, die aus verschiedenen Automatismen zusammen gesetzt sind. Insbesondere bei höheren Tieren erfolgt diese Zusammensetzung durch Lernen und ist auch durch Lernverhalten änder- und individualisierbar. Den elementaren Kernprozess kann man sich als Punkt, einen aus solchen Elementen zusammengesetzten Automatismus als Kreis/Ring und das aus solchen Automatismen zusammengesetzte relativ flexible Verhalten höherer Tiere als eine geschlossene Kette aus diesen Kreisen/Ringen vorstellen. Der nächste Entwicklungsschritt besteht darin, dass sich Kreise oder Ringe aus der engen Verkettung lösen, dass also bestimmtes Verhalten durch freien Willen initiiert wird, also frei von Zwängen, die sich z.B. durch die Umwelt ergeben, ausagiert werden kann. Die gelernte Verkettung automatisierten Handelns löst sich auf und muss neu integriert werden. Dem Menschen ist als erstem Tier eine solche neue Integration seines freien Verhaltens geglückt, nämlich durch den Produktions- bzw. Benutzungsprozess von Werkzeugen. Dieser Prozess der Werkzeugnutzung ist nun auf sozialem Niveau ein neuer elementarer Kernprozess, dem wiederum aus solchen Elementen zusammengesetzte Automatismen in Form einfacher Arbeitsteilung in der Evolution folgten. Unsere mittlerweile hochkomplexe Arbeitsteilung ist wiederum als Verkettung vielzähliger Kreise (Automatismen) zu verstehen, eine Loslösung einzelner Kreise ist dagegen noch nicht zu sehen (aber vorstellbar; vorstellbar ist daher auch, dass ein neuer Integrationsprozess und damit eine höhere Stufe des Menschseins kommen könnte). Man kann einwenden, dass von der Möglichkeit des Menschen zu freiem Verhalten in der Produktion des sozialen Lebens mit ihren Sachzwängen nicht viel zu sehen ist. Dies ist insofern richtig, als auch der neue Integrationsprozess das Überleben und die Versorgung sichern muss, doch schon allein die Existenz von Wissenschaft und Kunst zeigt, dass das soziale Leben mehr ist als blosses Überleben und dabei ganz wesentlich auf freiem Handeln basiert. Wie auch immer, bei genauerer Betrachtung kann man den biologischen Kernprozess als Integrationsprozess einer Vielzahl autarker chemischer Reaktionszyklen betrachten und demgemäß die Entwicklung verschiedenster chemischer Prozesse als Vorläufer vor der biologischen Evolution mit eigenem Kernprozess (eben der chemischen Reaktion), mit eigenen Automatismen und mit eigenen Verkettungen solcher Automatismen. Gehen wir nun noch weiter zurück in die Vergangenheit, dann sehen wir, dass physikalische Prozesse die Vorläufer der chemischen Reaktionen sind. Demnach müsste es auch im frühen Universum so etwas wie einen elementaren physikalischen Kernprozess gegeben haben, auf den ein darauf aufgebauter Automatismus folgte und auf diesen eine Verkettung physikalischer Automatismen. Es gibt also stets die Folge "Punkt", "Kreis", geschlossene "Kette" von Kreisen, Auflösung der Kette (und dann wieder von vorn Neuintegration dieser aufgelösten Teile durch einen neuen "Punkt") auf einer bestimmten Ebene oder einem bestimmten Evolutionstyp, von denen wir vier globale ausmachen können - nämlich die physikalische, chemische, biologische und soziale Evolution. In diesem Zusammenhang sei auf die Begriffe "Atom" und "Individuum" verwiesen, die sich beide auf die Unteilbarkeit, also auf den Elementcharakter beziehen. Dieses Muster schauen wir uns nun für die frühe kosmologisch/physikalische Evolution an in der Hoffnung, im elementaren physikalischen Kernprozess wiederum einen Integrationsprozess mit Hinweisen auf die Verhältnisse vor dem Urknall zu finden. Um hier nicht gänzlich im Dunkeln zu tappen, habe ich in diesem philosophischen Artikel ein paar plausible Ideen zur Grundstruktur der Zeit, die ich als wesentlich für die physikalische Grundstruktur unseres Universums erachte, nieder geschrieben. Diese werden uns helfen, besagten elementaren physikalischen Kernprozess und seine Vorläufer zu rekonstruieren. Allerdings muss man sich klar machen, dass die kosmologisch/physikalische Forschung hier ihrerseits nur spekulativ unterwegs und es trotz zahlreicher durchgerechneter Modelle keineswegs ausgemacht ist, wie die frühen Verhältnisse wirklich waren. Eine letzte Bemerkung zu diesem Abschnitt: mir ist wohl bewusst, dass Evolution nicht zwingend zu einer ständigen Höherentwicklung führen muss. Im Gegenteil - der hier so linear (oder meinethalben spiralig ansteigend) skizzierte Aufbau der Welt ist real vielfach gebrochen, nicht nur Individuen sterben, es gehen auch Arten oder Zivilisationen und natürlich auch Sternsysteme und vermutlich irgendwann auch unser gesamtes Universum zugrunde. Man könnte fast die Baryogenese als Vorbild nehmen und sagen, Evolution ist letztlich das, was übrig bleibt.
 

"Vor" dem Urknall

Es gibt vielfach die Ansicht, dass es nicht möglich sei, Zeit "vor" der Zeit bzw. Raum "außerhalb" des Raumes zu denken. Intuitiv scheint dies klar, man kann hier aber auch auf Kant verweisen, für den Raum und Zeit reine Anschauungsformen, also Erkenntnisprinzipien a priori sind, ohne die im Wesentlichen demnach weder Wahrnehmung noch Denken möglich wären. Dennoch ist dies nur zum Teil richtig, der entscheidende Punkt ist nämlich, dass Raum und Zeit selbst hochentwickelte Formen sind, für die es durchaus Vorläufer gibt bzw. gegeben haben könnte. Vor unserer jetzigen Raumzeit könnte es eine weniger komplexe Raumzeit gegeben haben, aus der sich die unsere entwickelt hat. Für den Raum allein können wir hier das Teilgebiet der Mathematik, die Topologie, betrachten. Der uns umgebende physikalische Raum ist in erster Näherung ein sog. euklidischer Raum. Dieser ist in der Topologie bereits eine vielfach strukturierte Menge. Auch hier möchte ich nicht weiter in die Tiefe gehen, sondern nur eine grundlegende Idee skizzieren. Ausgangspunkt in der Topologie sind Mengen untrennbarer Elemente. Die Trennbarkeit von Elementen bezieht sich auf Möglichkeiten, Teilmengen zu bilden. Ein Beispiel wäre eine Gruppe von Leuten, in der zunächst jeder jeden kennt. D.h. bildet man nun ausgehend von jedem Element, also jedem Gruppenmitglied die Teilmenge aller Personen, die er/sie kennt, dann ist dies stets die ganze Gruppe. Man stelle sich jetzt vor, dass sich die Gruppe, aus welchen Gründen auch immer, in Gruppe A und B teilt und zwischen den Teilgruppen nur ein einseitiger Informationsfluss bspw. von A nach B stattfindet. Daher weiss zwar B immer noch alles über A, aber eben A nicht mehr alles über B. Nun stelle man sich weiter vor, es gäbe in Gruppe A einen Neuzuwachs und der kennt natürlich nach einer Weile jeden aus A, aber eben niemanden mehr aus B, obwohl er dort bekannt ist. Sprich, wenn wir erneut Teilmengen bilden würden von jeder Person der Gesamtgruppe ausgehend, wäre dieser Neuzuwachs die einzige Person, deren Bekanntschaftsumgebung nicht die Gesamtgruppe enthält, also auch topologisch trennbar ist. Dies ist auch zugleich die einfachste Form der Trennung. Schon die ungeteilte Gesamtgruppe könnte als topologischer Raum mit der gröbsten (trivialen) Topologie aufgefasst werden; durch die Separierung, die man sich fortgesetzt vorstellen möge, entstehen toplogische Räume mit immer feineren Topologien. Dennoch sind diese topologischen Räume noch keine uniformen Räume und diese keine metrischen, metrische Räume wiederum noch keine normierten Räume und normierte Räume schließlich noch keine euklidischen Räume. Sprich, es muss aus topologischer Sicht viel passieren, ehe aus einer unstrukturierten Menge ein euklidischer Raum wird oder anders ausgedrückt, der Vorläufer eines physischen Raumes ist als eine Menge vorstellbar, in der sich zwischen den ursprünglich ununterscheidbaren bzw. untrennbaren Elementen Trennungsprozesse vollzogen haben. Und das kommt uns aus der oben formulierten Evolutionstheorie bekannt vor, da ein wesentlicher Evolutionsschritt die Auflösung verketteter Automatismen ist. Man könnte also sagen, dass die Topologie zugleich als Wissenschaft von der Geschichte des physikalischen Raumes betrachtet werden kann, wenn es gelingt, die (relevanten) Trennungsaxiome dynamisch, aber eben vorphysikalisch zu verstehen. Doch soweit sind wir noch nicht. Bedacht werden muss darüber hinaus zusätzlich, dass es nicht genügt nur den Raum allein zu betrachten, sondern die Raumzeit (die ja eine pseudo-riemannsche Mannigfaltigkeit mit einer Bilinearform als metrischem Tensor statt einer euklidischen Metrik ist) bzw. deren Vorläufer. Aus den Plausibilitätserklärungen zur Zeit, in denen einerseits die Zeit als mehrdimensionales Möglichkeitsfeld verstanden wurde, andererseits der Drang nach Konkretisierung dieser Möglichkeiten als Grund für die (Existenz der) Welt, ergibt sich aus meiner Sicht zumindest eine plausible Erklärung der physikalischen Evolution mittels des obigen Modells nach dem Urknall. Demnach wäre deren elementarer Kernprozess, also der Kernprozess der physikalischen Evolution, dieser Drang nach Konkretisierung und die daraus gebildeten Automatismen die dynamische Erzeugung massiver Teilchen. Den Urknall selbst können wir nun verstehen als Beginn des Drangs nach Konkretisierung von Möglichkeiten. Dies möchte ich sofort quantendynamisch verstanden wissen, insbesondere gilt das Superpositionsprinzip. Daraus folgt z.B. dass die sog. Viele-Welten-Theorie, wenn an ihr überhaupt etwas dran sein sollte, nur so verstanden werden kann, dass jede Welt ein Interferenzmaximum im Möglichkeitsfeld darstellt und nicht etwa jede Möglichkeit eine eigene Welt (auch wenn dies die ursprüngliche Intention war). Paralleluniversen wären demnach deutlich getrennt und relativ stabil und würden auch nicht in unzähliger Anzahl nach jeder Millisekunde aufgrund der vielen verschiedenen Möglichkeiten entstehen, da sich ja alle diese Möglichkeiten stets zugleich aber eben wellenförmig, quantendynamisch, also überlagernd konkretisieren würden. Der Drang nach Konkretisierung von Möglichkeiten muss als physikalischer Kernprozess zugleich aber auch Integrationsprozess im zugrundeliegenden Möglichkeitsfeld sein, das demnach als mehrfach strukturierte, auch mehrdimensionale Menge vorgelegen haben muss (denn sonst wäre die Integration nicht erforderlich gewesen). Welche Strukturen konkret dies gewesen sein könnten, also welche Art von topologischen Räumen oder Mannigfaltigkeiten hier anzusetzen sind, müsste weiter geprüft werden. Auch ist unklar, welches Maß auf einer solchen Mannigfaltigkeit eingeführt werden kann als Pendant zu den heutigen räumlichen und zeitlichen Abständen und wie diese eventuell miteinander zu vergleichen sind, um so eine Vorstellung von "Ausdehnung" und "Dauer" des Möglichkeitsfeldes vor dem Urknall zu bekommen. Auf jeden Fall halte ich die Evolution von Möglichkeiten im mehrdimensionalen Möglichkeitsfeld mit seinem Bedingungsgefüge als Vorläufer der physikalischen Evolution. Es ist dies einfach eine andere Seinsweise als wir sie kennen, nämlich das Sein ausschließlich als Möglichkeit. Die Konkretisierung ist darin letztlich nur eine weitere Möglichkeit, s.d. es viele weitere Seinsweisen geben könnte. Und ich kann mir darüber hinaus gut vorstellen, dass die oben skizzierten untrennbaren Möglichkeiten am Anfang dieser Möglichkeitsevolution ihrerseits einen noch früheren Kern- bzw. Integrationsprozess bilden, denn diese ungeteilte Menge klingt wieder sehr kompakt. Also auch "davor" muss es etwas gegeben haben, dass den "Möglichkeiten-Urknall" hervorgerufen haben muss, also ein gänzlich neuer und unbekannter Bereich. Ad infinitum.
 

Schluss

Soweit meine Ideen - vielleicht bekommt der Eine oder die Andere eine Vorstellung davon, dass das Prinzip "Von Nichts kommt Nichts" eher als Anregung zu weiterem Nachdenken (oder fruchtbaren Spekulieren) dienen sollte und nicht notwendig als Vehikel zur Einführung Gottes oder von Göttern. Damit will ich nicht die Existenz eines oder mehrerer Götter oder höherer Wesenheiten leugnen, aber auch hier bedarf es des richtigen Platzes, nämlich z.B. in der eigenen spirituellen Entwicklung, zu der ich ebenfalls anregen möchte. Darüber hinaus ist auch nicht ausgemacht, ob eine solche eingehende Forschung nicht auch dazu führen kann, das Möglichkeitsfeld direkt zu manipulieren (und nicht nur, wie es ja bereits geschieht über seine Konkretisierungen) und so gänzlich neue physikalische Phänomene hervor zu rufen, die es vielleicht gestatten, interstellar zu reisen oder in (eventuell mögliche) Paralleluniversen :) viel Freude trunx (Jens Koch)
 


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