
Von Schlangen und Hunden in Penrose-Parkettierungen
Von: Slash
Datum: Fr. 29. Oktober 2021 17:54:00 Thema: Mathematik
| Von Schlangen und Hunden in Penrose-Parkettierungen In diesem Artikel werden aperiodische Kachelsätze aus je zwei Kacheln vorgestellt, die auf der bekannten Penrose-Rauten-Parkettierung basieren und bisher nicht veröffentlicht oder im Internet erwähnt wurden. Es wird auch eine Näherungslösung für eine sogenannte aperiodische Monokachel vorgestellt, deren Parkett fünf Arten von Lücken besitzt.
Sätze von Protokacheln, welche die euklidische Ebene ausschließlich nichtperiodisch parkettieren können, werden aperiodisch genannt. Als quasiperiodisch werden Parkettierungen bezeichnet, bei denen sich beliebig große Ausschnitte wiederholen, ohne dass das Parkett insgesamt periodisch ist. Die bekanntesten Beispiele für quasiperiodische Parkettierungen sind die Penrose-Parkettierungen, benannt nach ihrem Entdecker Roger Penrose. Der Begriff aperiodisch wird nach neuester Definition übrigens nur auf die Kachelsätze angewandt. Die daraus entstehenden Parkettierungen sind dann jeweils nichtperiodisch. Selbst in der Fachliteratur ging das früher oft wild durcheinander. In neueren Publikationen hingegen wird das sauber unterschieden. Bei Penrose-Parketten wird zwischen drei Varianten unterschieden. Das originale Penrose-Parkett (P1), bestehend aus sechs Protokacheln, die sich wiederum auf vier Protokacheln reduzieren lassen (Fünfeck, Stern, Raute und Boot), das Drachen-und-Pfeil-Parkett (P2), sowie das Rauten-Parkett (P3), welche je aus nur zwei Protokacheln bestehen. Alle drei Varianten sind gegenseitig lokal voneinander ableitbar. Im Englischen wird dafür die Abkürzung MLD ( mutually locally derivable) verwendet. Zwei Parkettierungen gehören genau dann zur selben MLD-Klasse, wenn eindeutige Regeln existieren, die es ermöglichen, das eine Parkett aus dem anderen zu konstruieren. Dies kann z. B. durch eine Modifikation der Kanten oder eine Dekoration der Protokacheln geschehen.
Abb. 1
Untersuchungsgegenstand für diesen Artikel war die folgende Frage: Welches sind die zwei kleinstmöglichen zusammenhängenden Ausschnitte aus der P3-Parkettierung, die selbst einen aperiodischen Kachelsatz bilden und ohne zusätzliche Regeln, die das korrekte Zusammenfügen sicherstellen, wieder zwingend zu einer P3-Parkettierung führen?
Die dekorierten Protokacheln $T_2$ und $T_3$ in Abbildung 2 geben eine Antwort auf diese Frage. Es existieren allerdings noch endlich viele weitere Lösungen, deren genaue Anzahl nicht bekannt ist. Wegen der geforderten Zusammenhängigkeit im Sinne einer abgeschlossenen topologischen Scheibe dürften es aber nicht besonders viele sein. Die hier gezeigten Beispiele wurden wegen ihrer äußeren Form gewählt, die im weiteren Verlauf noch eine Rolle spielen wird. $T_1$ ist leider nicht zusammenhängend. $T_3$ setzt sich aus einem $T_1;T_2$ Paar zusammen. Die Kachelsätze aus $T_1;T_2$ bzw. $T_2;T_3$ führen jeweils ohne Zusammenfügungsregeln zwingend zu einer P3-Parkettierung. Beschränkt man den Kachelsatz nicht nur auf zwei Protokacheln, sind natürlich weitere und kleinere Lösungen möglich.
Abb. 2
Parkettierungen wie P2 und P3 besitzen eine skalierende Selbstähnlichkeit, wie sie sich auch bei Fraktalen findet. Grund dafür sind die Substitutionsregeln, die es ermöglichen, jede Kachel in kleinere Versionen der Protokacheln zu zerlegen. So können größere Kacheln aus kleineren zusammengesetzt werden. Dabei sind Penrose-Kacheln stark mit der Fibonacci-Folge verbunden. So ist zum Beispiel das Verhältnis zwischen beiden Protokacheln, die eine größere Kachel parkettieren können, immer durch eine Zahl dieser besonderen Folge gegeben. Dieses Verhältnis findet sich auch in den Kacheln aus Abbildung 2 wieder. $T_1$ besteht aus 5 schmalen und 8 breiten Rauten, $T_2$ aus 8 schmalen und 13 breiten Rauten, und $T_3$ - wenig überraschend - aus 13 schmalen und 21 breiten Rauten.
Die Abbildungen 3 und 4 zeigen die Anordnungen für $T_1;T_2$ bzw. $T_2;T_3$ basierend auf der übergeordneten Drachen- und Pfeilform (rot gestrichelt). Die Anwendung der Substitutionsregeln für die P2-Parkettierung (Abb. 11) führt dann zu einem quasiperiodischen Parkett. Die Anordnung für die Pfeilform (rechts) findet sich vollständig in der Drachenform (links) wieder.
Abb. 3 (ohne Dekoration)
Abb. 4 (mit Dekoration)
Die gestrichelten Drachen- und Pfeilformen lassen sich auch vollständig mit Rauten dekorieren, wofür aber auch diagonal halbierte Rauten an den gestrichelten Kanten zugelassen werden müssen. Auch die so dekorierten P2-Kacheln ergeben eine exakte P3-Parkettierung, wobei sich die halbierten Rauten wieder zu vollständigen Rauten ergänzen.
Varianten der ProtokachelnAus $T_1$ und $T_2$ lassen sich nun zwei neue Protokacheln bilden, die ihrer Form wegen Schlange und Hund getauft wurden. Dafür müssen jeweils zwei spitze gleichschenklige Dreiecke (halbe schmale Rauten) "abgetrennt" und in eine entsprechende Lücke "eingesetzt" werden (rote Pfeile). Die kleinen schwarzen Punkte innerhalb der Kacheln dienen nur dazu, den Kopf er Tiere markanter zu gestalten (Abb. 5).
Abb. 5
Mit einer weiteren ähnlichen Transformation lassen sich die äußeren Formen von Schlange und Hund noch weiter vereinfachen. Das Ergebnis ist ein unregelmäßiges konkaves Sechs- bzw. Fünfeck. Die Abbildungen 6 und 7 zeigen diesen Prozess von links nach rechts. Sowohl $T_8$ und $T_9$, als auch Schlange und Hund, besitzen denselben Flächeninhalt wie $T_1$ und $T_2$.
Abb. 6
Abb. 7
Wie auch die Penrose-Kacheln lassen sich $T_8$ und $T_9$ in Robinson Dreiecke zerlegen. $T_8$ kann in zwei stumpfwinklige Dreiecke ( golden gnomon) und zwei spitzwinklige Dreiecke ( golden triangle), $T_9$ in vier stumpfwinklige und zwei spitzwinklige Dreiecke zerlegt werden (Abb. 8).
Abb. 8
Während die dekorierten Schlange und Hund Kacheln (Abb. 6b und 7b) wieder zu einer P3-Parkettierung führen, besitzt ein Parkett aus den dekorierten $T_8$ und $T_9$ Kacheln immer kleine Fehler aufgrund unvollständiger Kanten. Diese fehlerhaften Bereiche finden sich in der oberen Ecke von $T_8$ und der unteren linken Ecke von $T_9$. Abbildung 9 zeigt einen dekorierten aperiodischen Kachelsatz auf Basis von $T_8$ und $T_9$, der wieder zu einer P3-Parkettierung führt. Es bleibt dem interessierten Leser überlassen, die Stellen mit der korrigierten Dekoration ausfindig zu machen.
Abb. 9
Ohne Substitutionsregeln lassen die undekorierten $T_8$, $T_9$, und $T_{11}$ Kacheln auch periodische Parkettierungen zu (Abb. 10). Ein lückenloses Parkett nur aus $T_8$ oder $T_{10}$ Kacheln ist hingegen nicht möglich.
Abb. 10
Parkette und SubstitutionsregelnDie Substitutionsregeln für alle in diesem Artikel vorgestellten aperiodischen Kachelsätze sind dieselben wie für die P2-Parkettierung, da sie zur selben MLD-Klasse genhören. Abbildung 11 zeigt diese Regeln am Beispiel der undekorierten $T_8$ und $T_9$ Kacheln. Man beachte, wie sich jeweils eine größere Drachen- und Pfeilform ergibt. Eine sehr schöne Animation dazu bietet dieses Video. Es ist auch immer möglich, Protokacheln so mit entsprechenden Ein- und Ausbuchtungen zu versehen (vgl. $T_2$ und $T_3$), dass sie nur genau die Art und Weise des Zusammenfügens zulassen, wie sie durch die Substitutionsregeln vorgeben wird. Es sind einzig ästhetische Gründe, warum meistens auf eine solche Modifikation der Kanten verzichtet wird. Außenkanten können u. a. auch durch Kurven ersetzt werden. Der englischsprachige Wikipedia Artikel zur Penrose-Parkettierung gibt dafür sehr gute Beispiele an.
Abb. 11
Die Abbildungen 12 und 13 zeigen größere Ausschnitte aus den mit den Kachelsätzen Schlange und Hund, sowie den undekorierten $T_{10}$ und $T_{11}$ gebildeten Parketten. Die Ausschnitte sind (der Einfachheit halber) so gewählt, dass sie die perfekte lokale 5-zählige Rotationssymmetrie von Penrose-Parkettierungen wiedergeben, die sich auch bis ins Unendliche fortsetzen lässt. Es sind jedoch auch unendlich viele andere Fortsetzungen möglich, da überabzählbar unendlich viele verschiedene nicht-kongruente Penrose-Parkettierungen existieren. Penrose-Parkettierungen, und damit auch alle hier vorgestellten, können zwar rotations- und spiegelsymmetrisch sein, weisen aber nie eine Translationssymmetrie auf, was auch der Grund für ihre Nichtperiodizität ist. Es lässt sich auch zeigen, dass sich jeder endliche Ausschnitt unendlich oft in einem solchen Parkett wiederfindet.
Abb. 12
Abb. 13
Das Parkett in Abbildung 13 besitzt noch die Besonderheit, dass sich die violetten $T_{11}$ Kacheln nie berühren. Die immer wiederkehrenden regelmäßigen Zehnecke (auch Sun oder Wagenrad genannt) können zwar so gedreht werden, dass sich doch Berührungen ergeben, aber wenn die Kanten der Kacheln entsprechend modifiziert werden, ist nur genau diese Art des Zusammenfügens möglich.
Aperiodische MonokachelnDie Tatsache, dass es möglich ist, die Ebene nichtperiodisch zu parkettieren, wurde erstmals 1966 von Robert Berger bewiesen, der kurz darauf ein Beispiel mit 20426 verschiedenen Kacheln vorstellte. In der Folge wurden immer kleinere aperiodische Kachelsätze gefunden, bis Penrose die Zahl der Protokacheln auf zwei reduzieren konnte.
Ganz natürlich drängt sich die Frage auf, ob es nicht auch aperiodische Kachelsätze gibt, die aus nur einer Protokachel bestehen. Die Frage nach der Existenz einer solchen aperiodische Monokachel stellt eines der spannendsten offenen Probleme aus der diskreten Geometrie dar. Im Englischen wird eine aperiodische Monokachel oft als Einstein bezeichnet. Dieses Wortspiel mit den Wörtern Ein und Stein, stellvertretend für eine (einzelne) Kachel, wird Ludwig Danzer zugeschrieben. Die Assoziation zu dem Physiker Albert Einstein ist dabei gewollt und der eigentliche Witz des Wortspiels, auch wenn das Problem selbst nichts mit der Person oder seiner wissenschaftlichen Arbeit zu tun hat.
Die bisher besten Näherungslösungen für eine aperiodische Monokachel wurden 1996 von Petra Gummelt und 2010 von Joshua Socolar und Joan Taylor vorgestellt. Gummelt konstruierte ein dekoriertes regelmäßiges Zehneck (Abb. 14 links). Socolar und Taylor präsentierten eine undekorierte Protokachel auf Basis eines regelmäßiges Sechsecks, die aber nicht zusammenhängend und damit nach Definition keine abgeschlossene topologische Scheibe ist. Die Socolar–Taylor-Kachel besteht aus insgesamt 19 Teilen in fester Anordnung (Abb. 14 rechts). Die 18 Rechtecke lassen sich dabei aus nur einem Rechtecktyp konstruieren. Ob es möglich ist, die Protokachel auf nur sieben Teile zu reduzieren, kann an dieser Stelle nicht beantwortet werden. Die Dekoration der Kachel (schwarze Linien) dient lediglich dazu, die Nichtperiodizität des Parketts optisch besser hervorzuheben.
Abb. 14
Die Protokachel $T_{12}$ in Abbildung 15 zeigt eine weitere Näherungslösung auf Basis der P2-Kacheln, deren Parkett allerdings Lücken besitzt (Abb. 16). Ihre Form vereint sowohl Drachen als auch Pfeil so gut wie möglich. Da Penrose-Kacheln nicht denselben Flächeninhalt besitzen, lässt sich eine echte aperiodische Monokachel mit einer 5-fachen Rotationssymmetrie nicht aus ihnen realisieren. Andere Formen als $T_{12}$ sind allerdings möglich, ebenso eine leichte Modifikation der Kanten, um die Zusammenfügungsregeln zu forcieren. Variationen mit größerer Fläche führen dann wie bei der Gummelt-Kachel zu Überlappungen statt Lücken.
$T_{12}$ ist ein unregelmäßiges konkaves Zwölfeck, auf Basis eines verbundenen $T_{10};T_{11}$ Paares (Abb. 9 und 15a). Die Kachel lässt sich in eine Raute $(a,b, c,p)$, zwei kongruente Drachen $(c,d,r,p)$ und $(g,h,i,r)$, zwei nicht kongruente Trapeze $(d,e,f,r)$ und $(i,j,k,r)$, im Folgenden $T_{13}$ und $T_{14}$ genannt, und ein unregelmäßiges Viereck $(l,n,q,r)$ zerlegen (Abb. 15b).
Abb. 15: Die Protokachel $T_{12}$
Viele Eigenschaften der Penrose-Kacheln beinhalten den Goldenen Schnitt $\varphi=(1+\sqrt{5})/2\approx1.618$. Die Kantenlängen in Abbildung 15b, in Bezug auf die Einheitskanten der Rauten-Dekoration, sind $\vert fg \vert=\vert ij \vert=\vert pq \vert=\varphi$, $\vert ab \vert= \vert bc \vert=\vert cd \vert=\vert gh \vert=\vert hi \vert=\vert lo \vert=\vert op \vert=\vert pa \vert=\vert pc \vert=\vert qr \vert=\vert fr \vert=\varphi+1$, $\vert dr \vert=\vert gr \vert=\vert hj \vert=\vert ir \vert=\vert lr \vert=\vert pr \vert=2\varphi+1$ und $\vert de \vert=\vert kl \vert=\vert lm \vert=2$.
Abb. 16
Eine $T_{12}$-Kachelung besitzt immer fünf Arten von Lücken. Ein unregelmäßiges Dreieck $(l,m,n)$, ein unregelmäßiges Viereck $(n,o,p,q)$ und drei Arten von "Propellern" (konkave 15-Ecke), die in $T_{13}$ und $T_{14}$ Kacheln zerlegt werden können (Abb. 15b und 17). Dabei kann ein $T_{13};T_{14}$ Paar wieder eine Raute mit Kantenlängen von $2\varphi+1$ bilden. Die dekorierten $T_{12}$-Kacheln (Abb. 15a) erlauben auch eine P3-Kachelung mit den beschriebenen Lücken. Die Substitutionsregeln für $T_{12}$ sind noch einmal gesondert in Abbildung 18 angegeben.
Abb. 17
Abb. 18
Es existieren übrigens genau sieben Möglichkeiten, P2-Kacheln lückenlos um einen gemeinsamen Punkt anzuordnen (Abb. 19). Damit lässt sich u. a. beweisen, dass alle in diesem Artikel vorgestellten dekorierten Kachelsätze wieder zu einer exakten P3-Kachelung führen.
Abb. 19
Die Form von Protokacheln tierisch zu formen und zu dekorieren, ist übrigens nicht neu und wurde bereits von Penrose selbst in seinem Artikel Pentaplexity gezeigt. Abbildung 20 zeigt links Penrose Beispiel mit dekorierten P2-Kacheln (Hühner), und rechts ein Beispiel mit Fischen auf Basis der P3-Kacheln.
Abb. 20
Verwendete QuellenDavid Bailey, David Bailey's World of Tessellations.
D. Frettlöh, E. Harriss, F. Gähler: Tilings encyclopedia, tilings.math.uni-bielefeld.de/.Diese Website besitzt u.a. einen herovoragenden Glossar in englischer Sprache, wo die wichtigsten Fachbegriffe, wie z.B. MLD, nachgeschlagen werden können.Das Snake & Dog tiling wird demnächst in die Enzyklopädie aufgenommen.
Branko Grünbaum, G. C. Shephard, (1987), Tilings and Patterns, New York: W. H. Freeman, pp. 519–548, ISBN 978-0-7167-1193-3.
Martin Gardner (1989), Penrose Tiles to Trapdoor Ciphers, New York: W. H. Freeman, 10: 071671986X.
Petra Gummelt (1996), Penrose tilings as coverings of congruent decagons, Geometriae Dedicata, 62 (1), doi:10.1007/BF00239998.
Katharina Krapf (2019), Die Penrose-Parkettierung mit Drachen und Pfeil, Wissenschaftliche Arbeit für das Lehramt an Gymnasien.
Roger Penrose (1979/80), Pentaplexity: A class of nonperiodic tilings of the plane, The Mathematical Intelligencer, 2: pp. 32–37, doi:10.1007/BF03024384, S2CID 120305260.
Joshua Socolar, Joan M. Taylor (2011), An Aperiodic Hexagonal Tile, Journal of Combinatorial Theory, Series A. 118 (8):2207–2231, doi:10.1016/j.jcta.2011.05.001.
Wikipedia, Parkettierung, Penrose tiling, Problem der monohedralen, aperiodischen Parkettierung, sowie die im Text gesetzten Links.
Mike Winkler (2021), Aperiodic Sets of Prototiles Extracted From the Penrose Rhomb Tiling, Geombinatorics Quarterly, Volume XXXII, Issue 3, January 2023, pp. 122–131.
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