Grundzüge der modernen Analysis, Band 1

Dieudonné, J.

Buchcover
Ich bin wahnsinnig beeindruckt von diesem Buch. Es hat mir gezeigt, und das wird es jeden anderen auch, der nicht das Buch nach den ersten paar Seiten weinend in die Ecke schmeißt, was die Analysis wirklich ist, in was für einer unglaublichen Allgemeinheit man sie formulieren kann und vor allem, dass man ohne einen solch strengen Stil irgendwann wieder gründlich ganz von vorne anfangen muss, weil man früher oder später mit ganz anderen Problemen konfroniert werden wird. Dieses Buch richtet sich an Studenten. Ich habe es in der 10. Klasse angefangen, komme deshalb nur wenig voran, aber die 11 Seiten, die ich nach 2 Monaten erst bequem hinter mir gebracht habe, und viele kritische Phrasen des Autors, die sich besonders an den Anfängen jedes Kapitels in die Länge ziehen, waren für mich schon wertvoller als jedes andere Analysis Buch. (im Kapitel 8 reinzuschlagen ist trotz Unwissens immer sehr interessant!) Man muss sich diese Texte immer und immer wieder durchlesen, sie geben einen so viel, das ist der Genuss pur! Aber nun auch einmal zum Inhalt. Es handelt sich nicht um klassische Analysis, dessen Erungenschaften u.a. das Abi anstrebt, sondern um moderne Analysis. Ich zitiere: Tatsächlich kann man sagen, einer der Hauptunterschiede zwischen den klassischen und modernen Auffassungen der Analysis bestehe in folgendem: In der klassischen Mathematik schreibt man f(x) und verbindet damit die Vorstellung, f sei "fest" und x sei "variabel". Heutzutage jedoch betrachten wir sowohl f als auch x als "Variable" (und zuweilen wir gerade x festgehalten, und f wird das "variable" Objekt). Was noch alles auf den Leser zukommt: 1. Anfangsgründe der Mengenlehre 2. Reelle Zahlen 3. Metrische Räume 4. Weitere Eigenschaften der reellen Zahlengeraden 5. Normierte Räume 6. Hilberträume 7. Räume stetiger Funktionen 8. Differentialrechnung 9. Analytische Funktionen 9'. Anwendungen analytischer Funktionen auf die Topologie der Ebene 10. Existenzsätze 11. Elementare Spektraltheorie Anhang. Anfangsgründe der linearen Algebra Man könnte damit denken, dass Folgen, Reihen, komplexe Zahlen, Integralrechnung, Taylorreihen, Resudien uvm. gar nicht behandelt wird, stimmt aber nicht! Denn hier wird fast jedes Thema anders aufgerollt, als es üblich ist. Ferner überschneiden sich die Probleme wahnsinnig mit denen der Linearen Algebra, der Funktionentheorie und anderen Gebieten. Wer Abbildungen erwartet, um z.B. die Ober- und Untersummen bei der Integralrechnung zu veranschaulichen, der wird nur seitenlange Texte (kaum Formeln o.ä.) bekommen, die sich ausschließlich mit der Theorie, aber auf keinen Fall mit deren Anwendungen befassen. Und noch einmal klar und deutlich: Ohne derartige Bücher bekommt man ein derart unvollständiges Bild der Mathematik, dass sie am besten nicht mehr als solche bezeichnet werden sollte. Ich empfehle jedem, der die klassische Analysis bereits kennt, unbedingt dieses Buch als 1000fache Horizonterweiterung.


Hinzugefügt am: 2003-09-04
Kritiker: Martin_Infinite
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Durchschnittsbewertung: 8 Bewertungen

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Weitere Kommentare:
Grundzüge der modernen Analysis, Band 1
Bewertung von N-man am 21.11.2003

N-man schreibt:

Ich habe mir vorurteilsvoll den Dieudonné aus der Bibliothek ausgeliehen und wurde teilweise in meinen Vorurteilen bestätigt.

Unbestritten ist er interessant zu lesen und einige Themen werden ungewohnt, eben verallgemeinert angepackt, aber die versprochene 1000fache Horizonterweiterung hat bei mir noch nicht eingesetzt... zumindest nicht mit diesem Faktor.
Vielleicht muss man dazu ja erst alle Seiten gelesen und natürlich auch verstanden haben?

Wenn man dieses Buch ernsthaft zur Hand nehmen will, sollte man die einleitenden Worte des Monsieur Dieudonné nicht missachten. Dort steht u.a.:

Das vorliegende Buch entstand aus Vorlesungen, die für Studenten mit abgeschlossenen Grundstudium oder außergewöhnlich fortgeschrittenen Studenten niederer Studienjahre, bestimmt waren.

So werden in Übungsaufgaben und Beispielen Kenntnisse vorausgesetzt, die erst später vermittelt werden. Wie soll man denn mit einem Integral bei der Definition eines Skalarproduktes im Raum der stetigen Funktionen umgehen, wenn man noch gar nicht weiß, was der Doppelhaken bedeutet.

Natürlich müssen die Studenten eine anwendungsbereite Kenntnis der klassischen Analysis besitzen, ehe sie diese Lektüre in Angriff nehmen können

Ja, das stimmt wohl, denn ich bezweifle, dass ein komplett von der Analysis-Unbefleckter nach Durcharbeiten des Buches weiß, wie f(x)=x² abzuleiten ist, selbst wenn man sich auf den reellen Spezialfall hinabbegibt.

Im Übrigen weiß ich immer noch nicht genau, was sich hinter "klassischer Analysis" und "moderner Analysis" verbirgt.
Im Vorwort zur deutschen Ausgabe findet man dazu:

Der Verfasser hat sich das Ziel gesetzt, die Grundlagen der Analysis nach der axiomatischen Methode in einem auf vier Bände geplanten Werk darzustellen und damit dem jungen Mathematiker den ganzen Reichtum der modernen Analysis zu erschließen.

Vielleicht liegt es daran, dass sich 1960 näher an Leibnitz und Newton themselves befindet und sich knalleng an Hilbert kuschelt, aber ist der Aufbau einer mathematischen Theorie nach axiomatischen Gesichtspunkten heute nicht eine Selbstverständlichkeit?
Wie man vielleicht merkt, missfällt mir die Einteilung in klassisch und modern. Soll "klassisch" Rechnen und "modern" allgemeine Theorie bedeuten? Dann vertrete ich die Meinung, man soll Analysis beherrschen, unabhängig davon, ob modern oder klassisch.

Also mein Fazit.
Das Buch gefällt mir wirklich auch wenn meine Worte vielleicht nicht so zu interpretieren waren. Man wird immer ungewohnte Gedankengänge finden und das reizt natürlich.
Manche Herangehensweisen sind sehr allgemein. Auch wenn sich so "der Reichtum der modernen Analysis erschließen" mag, wird der doch wohl nicht ganz so unwichtige Aspekt der praktischen Analysis verschleiert.
Wie der Autor schreibt, sind diese allgemeinen Herangehensweisen für die heutige Forschung unerlässlich und somit ist diese Buch für jeden Mathestudenten empfehlenswert.
Aber um wirklich ein vollständiges Bild der Analysis zu erhalten (auch wenn das ja gerade hier versucht werden soll), kann der Dieudonné nur ein als auf Vorkenntnisse aufbauendes und weiterführendes Werk genutzt werden. Vorallem sollte es nicht das erste bzw. nicht das einzige Buch zur Analysis sein.

Wie erwähnt, die Herngehensweise des Dieudonné gefällt mir wirklich sehr gut.
Da in der Rezension von Martin_Infinite aber doch sehr auf die Belange und Interessen der "Studenten mit abgeschlossenen Grundstudium oder außergewöhnlich fortgeschrittenen Studenten niederer Studienjahre" eingegangen wird, fühlte ich mich verpflichtet, korrigierend die Belange von Erstsemestern oder Schülern auf der Suche nach ihrem ersten Analysisbuch einfließen zu lassen.

Deswegen fällt meine Bewertung korrigierend auch etwas tiefer aus, als wenn ich hätte den Mittelwert nur mit mir selbst als Vorrezensierer hätte bilden müssen.

Es ist wohl alles Wichtige gesagt, allerdings kann ich mir abschließend nicht verkneifen zu erwähnen, das berühmte 11 Seiten, die im vorhergehenden Beitrag erwähnt werden, kein exemplarischer Auszug gerade für den Dieudonné sein können.
Denn auf jenen elf Seiten werden Mengen und Abbildungen nicht anders behandelt als sie jeder Erstsemester in den ersten zwei Wochen seines Studiums vorgestellt bekommt.



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Grundzüge der modernen Analysis, Band 1
Bewertung von Martin_Infinite am 21.11.2003

Martin_Infinite schreibt:

Vielen Dank für den Kommentar Manuel!

Ja, ich glaube ich habe nicht deutlich genug beschrieben, dass
das Buch nicht für Schüler und Erstsemestler im Allgemeinen
geeignet ist.

Außerdem muss ich noch hinzufügen, dass ich nur 11 Seiten aus-
führlich durchgenommen habe (nicht nur jene haben mich zu
mehreren Zwischenprojekten inspiriert...), jedoch auch einige
andere Kapitel gelesen habe, bei denen ich keine Aufgaben gelöst
habe, mein Lösungsheft nicht erweitert habe und und und. Den Rest
habe ich immer mal wieder überflogen. Also ist es bei den 11 Seiten
bei weitem nicht geblieben, ich habe schon mehr Eindrücke sammeln
können.

Gruß
Martin


(Dieser Kommentar wurde zu dieser Besprechung geschrieben)

Grundzüge der modernen Analysis, Band 1
Bewertung von Wally am 27.12.2004

Wally schreibt:

10 Punkte - aber mit Warnung!

Der erste Band dieser Reihe eignet sich wunderbar, die Analysis-Kenntnisse zu sortieren und zu ordnen - nachdem man das schon mal verstanden hat.

Diedonné war Mitglied des Bourbaki-Kreises, der versuchte, die gesamte Mathmatik auf eine einheitliche axiomatische Grundlage zu stellen (und damit auch weit gekommen ist). Diese Denkschule richtet das Augenmerk eher auf Strukturen als auf Einzelergebnisse (kein Wunder also, dass das Martin so gut gefallen hat).

Wer also ein Lehr- und Übungsbuch sucht, das zu aktuellen Vorlesungen passt, wird bitterlich enttäuscht.
Wer einen Sortierkasten für seine in der Analysisschätze sucht, liegt goldrichtig.



(Dieser Kommentar wurde zu dieser Besprechung geschrieben)

Grundzüge der modernen Analysis, Band 1
Bewertung von Hank am 08.08.2005

Hank schreibt:

Kann mich Wally nur anschließen.

Ein echter Klassiker in der Mathematik aber für Anfänger denkbar
ungeeignet. Also ich sag mal, das Grundstudium also 4 Semester
Mathematik sollte man schon hinter sich haben und selbst dann ist
es nicht unbedingt einfach...

Aber solche Probleme wie N- man nicht. Es ist wirklich sehr anspruchsvoll
nicht nur vom Text und inhalt, sondern auch von den Aufgaben.

Mit den Warnhinweis gibt es trotzdem von mir 4 Sterne.


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Grundzüge der modernen Analysis, Band 1
Bewertung von Cerebus am 22.09.2005

Cerebus schreibt:

Dieudonne gibt eine breite und tiefe Einführung in die wichtigsten Themen der Analysis, wobei der Begriff eher weit gefasst wird. Das Ganze geht über 8 Bände und dies ist Band 1. Der Schwerpunkt liegt auf konzeptionellen Verbindungen und dementsprechend abstrakt ist der Inhalt auch. Wer glaubt dass alles so abstrakt wie möglich aufgezogen wird, der irrt allerdings. Das Buch ist nicht viel abstrakter als die meisten Analysis-Bücher für "graduate students". Wer extreme Abstraktion sucht sollte lieber die Bücher von Werner Gähler lesen. Dieudonne bleibt lesbar und gibt viele Aufgaben auf einem fairen Niveau.
Dieudonne schrieb dieses Buch 1960. Vieles was an diesem Buch revolutionär war, ist heute in den Mainstream übergegangen. Heutige StudentInnen werden mit der "axiomatischen Methode" schon vor diesem Buch vertraut sein. Einiges in diesem Buch wirkt etwas unzeitgemäß. So wird das Intervallschachtelungsprinzip als Axiom der reellen Zahlen genommen und die (Dedekind-)Vollständig als Satz abgeleitet. Einiges, was in dem Buch zu finden sein sollte, findet sich leider nicht. Der Satz von Heine-Borel für allgemeine euklidische Räume steht zumindest nicht im ersten Band, gehört aber zweifellos zu den wichtigsten Sätzen der Analysis.

Dies ist zweifellos ein historisch bedeutsames Buch und ist mehr als einen Blick wert. Ob es heute noch als Standard-Referenz taugt, wage ich allerdings zu bezweifeln.


(Dieser Kommentar wurde zu dieser Besprechung geschrieben)

Grundzüge der modernen Analysis, Band 1
Bewertung von Hans-im-Pech am 20.01.2006

Hans-im-Pech schreibt:

Ein wirklich interessantes Buch, mit dem man in späteren Semestern sein Analysis-Wissen vertiefen kann. Aber als Begleitlektüre für eine Erstsemester-Veranstaltung ungeeignet, finde ich.

Grüße,
HiP


(Dieser Kommentar wurde zu dieser Besprechung geschrieben)

Grundzüge der modernen Analysis, Band 1
Bewertung Keine Wertung von Martin_Infinite am 08.04.2006

Martin_Infinite schreibt:

@Wally: Wieso ist es nicht als Lehrbuch geeignet?
@Cerebus: Heine-Borel ergibt sich doch aus 3.17.6. :-)


(Dieser Kommentar wurde zu dieser Besprechung geschrieben)

Grundzüge der modernen Analysis, Band 1
Bewertung von Milch01 am 16.04.2007

Milch01 schreibt:

Bei mir hört das Inhaltsverzeichnis auf Seite 14 auf. :-)


(Dieser Kommentar wurde zu dieser Besprechung geschrieben)

Grundzüge der modernen Analysis, Band 1
Bewertung Keine Wertung von Anonymous am 07.01.2009

Anonymous schreibt:

Wieso gibt es nicht Band 9?
Band 8 endet mit linearen Funktionalgleichungen.

24 Elementare Differentialtopologie und
25 Nichtlineare Probleme

fehlen!


(Dieser Kommentar wurde zu dieser Besprechung geschrieben)

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