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Autor |
Messbare Funktionen und Stetigkeit |
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Bildungskind
Neu  Dabei seit: 13.11.2019 Mitteilungen: 3
 | Themenstart: 2019-11-13
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Hallo,
ich habe vor Kurzem über folgende Aussage nachgedacht:
\[f: \mathbb{R} \to \mathbb{R} \text{ messbar} \Rightarrow f \text{ fast überall gleich zu einer stetigen Funktion.} \]
Diese Implikation ist natürlich offensichtlich falsch, da man zum Beispiel eine Treppenfunktion nehmen könnte. Ich habe aber darüber nachgedacht, ob man die Bedingung abschwächen könnte:
\[f: \mathbb{R} \to \mathbb{R} \text{ messbar} \Rightarrow f \text{ fast überall gleich zu einer fast überall stetigen Funktion.} \]
Ich habe einige Zeit darüber nachgedacht, doch mir ist weder ein Beweis noch ein Gegenbeispiel eingefallen. Ich wollte daher fragen, ob irgendjemand weiß, ob diese Aussage wahr oder falsch ist. Ich weiß, dass der Satz von Lusin schon in die richtige Richtung geht; das ist noch nicht die obige Implikation.
Viele Grüße
Bildungskind
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Shaqrament
Ehemals Aktiv  Dabei seit: 19.06.2019 Mitteilungen: 54
Wohnort: Bayern
 | Beitrag No.1, eingetragen 2019-11-13
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Hallo Bildungskind,
ich vermute mal, du redest vom Lebesgue-Maß $\lambda^1$. Dann ist für mich unklar, warum eine Treppenfunktion deine erste Implikation widerlegen sollte. Eine Treppenfunktion hat (so vermute ich lautet deine Definition) höchstens abzählbar viele Unstetigkeitsstellen. Aber damit wäre sie Lebesgue-fast stetig, denn konstante Funktionen sind stetig und abzählbare Mengen Nullmengen.
Zweitens sieht deine zweite Implikation (zumindest auf den ersten Blick) äquivalent zur ersten aus. Denn bei zweimal "fast überall" reden wir von Vereinigungen von Nullmengen, die wieder Nullmengen sind.
Gruß,
Shaqrament
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Bildungskind
Neu  Dabei seit: 13.11.2019 Mitteilungen: 3
 | Beitrag No.2, vom Themenstarter, eingetragen 2019-11-13
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Hallo,
ja, ich meine das Lebesgue-Messbarkeit. Eine Treppenfunktion ist für mich jene Funktion, die man zur Konstruktion des Riemann-Integrals benötigt.
Unter "\(f\) ist stetig" verstehe ich persönlich, dass eine Funktion in jedem Punkt ihres Definitionsbereiches stetig ist. Eine Treppenfunktion - insofern nichtkonstant - kann daher nicht fast überall gleich zu einer stetigen Funktion sein. Zumindest wüsste ich jetzt nicht, wie man die Unstetigkeitsstellen so beheben könnte, dass daraus eine stetige Funktion entsteht, die fast überall gleich zu meiner besagten Treppenfunktion ist. Ich bin mir sogar sicher, dass das nicht geht.
Ich dachte auch, dass beide Implikationen gleich seien, aber ich glaube, der Denkfehler kommt daher, dass
\[f \text{ ist fast überall gleich zu einer stetigen Funktion} \Leftrightarrow f \text{ ist fast überall stetig} \]
im Allgemeinen falsch ist. Denn eine Treppenfunktion ist offensichtlich fast überall stetig und natürlich auch (fast) überall gleich zu sich selbst. Damit gibt es zu jeder Treppenfunktion eine fast überall gleiche fast überall stetige Funktion (nämlich sich selbst). Das wäre ein Gegenbeispiel dafür, weil ich ja festgestellt habe, dass keine Treppenfunktion fast überall gleich zu einer stetigen Funktion ist.
Weil ich das Prädikat "ist fast überall gleich zu einer fast überall stetigen Funktion" so kompliziert gewählt habe, glaube ich, dass das für alle messbaren Funktionen gilt. Ich habe aber keinen Beweis dafür.
Viele Grüße
Bildungskind
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Shaqrament
Ehemals Aktiv  Dabei seit: 19.06.2019 Mitteilungen: 54
Wohnort: Bayern
 | Beitrag No.3, eingetragen 2019-11-13
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Hallo Bildungskind,
ja, das leuchtet ein. Den Ursprung des Denkfehlers hast du richtig geortet :D. Leider fällt mir spontan auch kein Beweis ein. Aber die stetigen Funktionen sind ja gerade diejenigen, die Urbilder offener Mengen als solche erhalten. Vielleicht kann man damit die Kontraposition deiner Aussage zeigen, aber auch das sollte sich schwierig gestalten.
An dieser Stelle ist es vielleicht besser, ich übergebe an den restlichen Matheplanet.
Beste Grüße
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Vercassivelaunos
Senior  Dabei seit: 28.02.2019 Mitteilungen: 1267
 | Beitrag No.4, eingetragen 2019-11-14
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\(\begingroup\)\(\newcommand{\N}{\mathbb{N}}
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\newcommand{\rVert}{\right\Vert}\)
Hallo Bildungskind,
ich denke, ich habe ein Gegenbeispiel für deine Vermutung. Sei $S$ die Smith-Volterra-Cantor-Menge. Ihre für uns wesentliche Eigenschaft ist, dass sie nirgends dicht in $\R$ ist, aber trotzdem positives Lebesguemaß hat, nämlich $\lambda(S)=\frac{1}{2}$. So kann man einfach die charakteristische Funktion $\chi_S$ dieser Menge betrachten, also die Funktion, die auf $S$ den Wert 1 annimmt, und auf $\R\backslash S$ den Wert 0. Diese Funktion ist als charakteristische Funktion einer messbaren Menge messbar.
Auf jeden Fall gilt, dass es keine Riemann-integrierbare Funktion gibt, die fast überall gleich ist. Da jede beschränkte (unbeschränkte kommen eh nicht in Frage), fast überall stetige Funktion Riemann-integrierbar ist, kann es keine fast überall stetige Funktion geben, die fast überall gleich $\chi_S$ ist.
Viele Grüße,
Vercassivelaunos\(\endgroup\)
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Bildungskind
Neu  Dabei seit: 13.11.2019 Mitteilungen: 3
 | Beitrag No.5, vom Themenstarter, eingetragen 2019-11-14
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Hallo Vercassivelaunos,
vielen Dank für dieses Gegenbeispiel. Mir war die "fette Cantor-Menge" noch gar nicht bekannt. Das finde ich recht schade, da ich auf der Suche nach einer äquivalenten Charakterisierung von messbaren Funktionen war, um zu sehen, ob man das Lebesgue-Integral nicht hätte anders definieren/konstruieren könnte.
Viele Grüße
Bildungskind
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