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Kategoriendefinition: Müssen Pfeilmengen disjunkt sein? |
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tobit09
Aktiv  Dabei seit: 24.04.2018 Mitteilungen: 79
 | Themenstart: 2023-01-31
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Hallo zusammen,
in seinem Lehrtext "Basic Category Theory" schreibt Tom Leinster:
"Every map in every category has a definite domain and a definite codomain. (If you believe it makes sense to form the intersection of an arbitrary pair of abstract sets you should add to the definition of category the condition that $\mathcal{A}(A,B)\cap\mathcal{A}(A',B')=\emptyset$ unless $A=A'$ and $B=B'$".)"
Meine Frage dazu: Geht irgendetwas in der Kategorientheorie schief, wenn die Pfeilmengen nicht paarweise disjunkt sind? Hat jemand dazu ein möglichst einfaches Beispiel?
Martin Brandenburg schreibt in seinem Buch "Einführung in die Kategorientheorie" hingegen
"Ob die Objekte A und B eindeutig durch f bestimmt sind, ist für die Kategorientheorie irrelevant, weil sämtliche "sinnvollen" Aussagen über Morphismen tatsächlich Tripel (A,B,f) betreffen."
Für mich klingt Brandenburgs Aussage sehr plausibel. Liegt also Leinster komplett daneben oder übersehen Brandenburg und ich etwas?
(Wenn man schon Leinsters Linie folgen wollte, sollte man sich dann konsequenterweise auch Gedanken darüber machen, ob ein Ding gleichzeitig Objekt und Morphismus einer Kategorie sein darf oder nicht? Nach meinem Verständnis ist es kein Problem, wenn das gleiche Ding sowohl Objekt als auch Morphismus einer Kategorie ist. Ein schönes Beispiel dazu ist die Kategorie Set, in der nach ZFC-Lesart z.B. $\emptyset$ sowohl ein Objekt als auch für jede Menge $M$ ein Morphismus $\emptyset\to M$ ist.)
(Mir ist schon klar, dass die meisten Kategorientheoretiker strukturelle Mengenlehren ZFC vorziehen und sich dort die Disjunktheit zweier Mengen/Klassen gar nicht erst formulieren lässt. Umso verwunderlicher finde ich, dass Leinster diese Disjunktheit so wichtig zu betonen zu sein scheint. Andererseits scheint Leinster diese Bedingung schon wenige Zeilen später wieder vergessen zu haben, als er z.B. die Kategorie der Gruppen einführt, ohne sicherzustellen, dass ein Gruppenhomomorphismus in seinem Sinne immer zu eindeutigen Gruppen gehört.)
Viele Grüße
Tobias
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PhysikRabe
Senior  Dabei seit: 21.12.2009 Mitteilungen: 2763
Wohnort: Rabennest
 | Beitrag No.1, eingetragen 2023-01-31
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Hallo Tobias,
hier und hier gibt es ähnliche Fragen mit Antworten von Martin Brandenburg persönlich; vielleicht hilft dir das weiter.
Grüße,
PhysikRabe
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tobit09
Aktiv  Dabei seit: 24.04.2018 Mitteilungen: 79
 | Beitrag No.2, vom Themenstarter, eingetragen 2023-01-31
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Hallo PhysikRabe,
vielen Dank auch hier für die interessanten Links.
Überrascht mich sehr, dass Martin Brandenburg in den genannten Links anders als in seinem Buch Leinsters Linie zu vertreten scheint.
Umso mehr würde mich interessieren, wo denn ein Problem bei fehlender Disjunktheit liegt?
Viele Grüße
Tobias
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PhysikRabe
Senior  Dabei seit: 21.12.2009 Mitteilungen: 2763
Wohnort: Rabennest
 | Beitrag No.3, eingetragen 2023-01-31
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\quoteon(2023-01-31 16:05 - tobit09 in Beitrag No. 2)
Überrascht mich sehr, dass Martin Brandenburg in den genannten Links anders als in seinem Buch Leinsters Linie zu vertreten scheint.
\quoteoff
Wo genau liest du das heraus? Martins Antworten in diesen Links decken sich doch genau mit dem Zitat aus seinem Buch, nämlich dass Morphismen in der Kategorientheorie stets mit Domain und Codomain zu betrachten sind. Zu diesem Thema gibt es auch diese Frage mit entsprechender Antwort. Insofern sehe ich die Aussagen auch nicht im Widerspruch stehend zur Bemerkung von Leinster.
Grüße,
PhysikRabe
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tobit09
Aktiv  Dabei seit: 24.04.2018 Mitteilungen: 79
 | Beitrag No.4, vom Themenstarter, eingetragen 2023-01-31
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Es scheint Einigkeit darüber zu herrschen, dass man bei Morphismen in der Kategorientheorie stets über Morphismen fester Domain und fester Codomain quantifiziert.
Zur Frage der Disjunktheit der Morphismenmengen scheint es hingegen zwei gegensätzliche Positionen zu geben:
1. "Ob die Objekte A und B eindeutig durch f bestimmt sind, ist für die Kategorientheorie irrelevant, weil sämtliche "sinnvollen" Aussagen über Morphismen tatsächlich Tripel (A,B,f) betreffen." (Brandenburg 2016, was mir sehr plausibel erscheint) -> keine Notwendigkeit (Irrelevanz) der Disjunktheit
2. Man sollte Disjunktheit fordern. (Leinster, Brandenburg 2014)
Für Position 2. fehlt mir bisher ein Beispiel für die Nützlichkeit der Disjunktheitsforderung.
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PhysikRabe
Senior  Dabei seit: 21.12.2009 Mitteilungen: 2763
Wohnort: Rabennest
 | Beitrag No.5, eingetragen 2023-01-31
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\quoteon(2023-01-31 16:46 - tobit09 in Beitrag No. 4)
2. Man sollte Disjunktheit fordern. (Leinster, Brandenburg 2014)
\quoteoff
Der Punkt bei Leinster ist die Einschränkung "If you believe it makes sense to form the intersection of an arbitrary pair of abstract sets [...]". Es ist nicht zwingend notwendig, Disjunktheit explizit zu fordern. Martin Brandenburg erklärt, warum: Morphismen sind stets durch solche Tripel $(f,A,B)$ gegeben. Es macht daher keinen Sinn, davon zu sprechen, dass $(f,A,B)$ und $(f,C,D)$ "gleich" sind, weil das Symbol $f$ immer in Verbindung mit den anderen Daten in der Form eines Tripels $(f,A,B)$ anzusehen ist. Insofern sind die Hom-Räume "disjunkt" (vorausgesetzt man kann diesem Begriff überhaupt eine brauchbare Bedeutung zuweisen; siehe den einschränkenden Zusatz von Leinster).
So zumindest meine Interpretation der Situation. Vielleicht liege ich da auch falsch, und ich entschuldige mich falls wir uns im Kreis drehen. Auch hier kann Triceratops sicher weiterhelfen, also warten wir einfach einmal ab. 😉
Grüße,
PhysikRabe
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tactac
Senior  Dabei seit: 15.10.2014 Mitteilungen: 2719
 | Beitrag No.6, eingetragen 2023-01-31
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\(\begingroup\)\(\newcommand{\sem}[1]{[\![#1]\!]}
\newcommand{\name}[1]{\ulcorner#1\urcorner}
\newcommand{\upamp}{\mathbin {⅋}}
\newcommand{\monus}{\mathbin {∸}}\)
Hmm, ich sehe kein Problem, wenn $\mathcal A(A,B)$ und $\mathcal A(A',B')$ gemeinsame Elemente haben, allerhöchstens geringfügige linguistische. Die Elemente sind doch sozusagen nur Behälter für die ("Laufzeit"-)Daten, die zum jeweiligen Morphismus gehören.
Und für Pfeile $0 \to B$ braucht man abstrakt gesehen halt keine Daten, weil es eben immer genau einen gibt, für jedes $B$. Die können daher alle denselben "leeren" "Datenbehälter" verwenden.
$f = g$ zu fragen, ergibt nur kategorientheoretisch nur Sinn, wenn $f$ und $g$ aus demselben $\mathcal A(A,B)$ stammen.
(Hier ist schon das erste linguistische Problem: wenn $f \in \mathbf{Set}(X, \IQ^+)$ und $g \in \mathbf{Set}(X, \IZ)$ konkret gegeben sind, könnte ja mancheiner auf die Idee kommen, zu beweisen, dass der Vergleich $f=g$ Sinn ergibt, weil nämlich beide zufällig auch in $\mathbf{Set}(X, \IQ^+) \cap \mathbf{Set}(X, \IZ) = \mathbf{Set}(X,\IN)$ liegen; s.u.)
Eine Präordnung $(A, \le)$ als Kategorie könnte man so bauen:
* Objekte sind die Elemente von $A$,
* $\mathcal C(x,y) := \begin {cases}
\{\emptyset\} & x \le y \\
\emptyset & \text{sonst.}
\end{cases}$
(oder, klassisch äquivalent, konstruktiv aber besser: $\mathcal C(x,y) := \{ z \in \{\emptyset\} \mid x \le y\}$)
Da stört es auch nicht, an die Existenz von Durchschnitten beliebiger Mengen zu glauben.
$\mathbf{Set}$ kann man (wenn man an unique choice glaubt) so basteln, dass die Elemente von $\mathbf{Set}(X,Y)$ wirklich einfach nur die Graphen von Funktionen $X \to Y$, also Teilmengen von $X \times Y$ mit bestimmten Eigenschaften, sind (und nicht etwa Tripel).
Die Surjektivität z.B. ist dann natürlich kein Prädikat auf der Klasse aller aller Funktionsgraphen, sondern eine Familie von Prädikaten, eines für jedes $\mathbf{Set}(X,Y)$. Nun gilt in so einem Setup zwar $\mathbf{Set}(X,Y) \subseteq \mathbf{Set}(X,Y')$, wenn $Y \subseteq Y'$, aber wenn so ein Datenbehälter $f \in \mathbf{Set}(X,Y)$ "$X,Y$-surjektiv" ist, ist er deswegen natürlich noch lange nicht "$X,Y'$-surjektiv". Analog für "=" zwischen Morphismen, kategorientheoretisch: Wir haben eigentlich eine Familie von $=_{X,Y}$, die Prädikate auf $\mathbf{Set}(X,Y)\times \mathbf{Set}(X,Y)$ sind.\(\endgroup\)
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tobit09
Aktiv  Dabei seit: 24.04.2018 Mitteilungen: 79
 | Beitrag No.7, vom Themenstarter, eingetragen 2023-02-01
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Hallo tactac,
vielen Dank für deinen Beitrag! :-)
Deine Position passt exakt zu meiner derzeitigen, dass Leinsters Disjunktheitsforderung völlig überflüssig zu sein scheint.
Gibt es auch jemanden, der die gegenteilige Ansicht vertritt, dass die Disjunktheitsforderung wichtig ist? Findet z.B. jemand einen Kategorientheoretischen Sachverhalt, der nicht mehr gilt, wenn man auf die Disjunktheitsforderung verzichtet?
Wenn die Disjunktheitsforderung nicht benötigt wird, plädiere ich sehr dafür, sie auch nicht aufzustellen. Ansonsten müsste man ja bei jeder (!) Kategorie prüfen, ob sie erfüllt ist, obwohl das ja eigentlich völlig irrelevant zu sein scheint. Diese Notwendigkeit scheint Leinster zu übersehen.
Viele Grüße
Tobias
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tobit09
Aktiv  Dabei seit: 24.04.2018 Mitteilungen: 79
 | Beitrag No.8, vom Themenstarter, eingetragen 2023-02-01
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Hallo PhysikRabe,
\quoteon(2023-01-31 16:55 - PhysikRabe in Beitrag No. 5)
Der Punkt bei Leinster ist die Einschränkung "If you believe it makes sense to form the intersection of an arbitrary pair of abstract sets [...]". Es ist nicht zwingend notwendig, Disjunktheit explizit zu fordern. Martin Brandenburg erklärt, warum: Morphismen sind stets durch solche Tripel $(f,A,B)$ gegeben. Es macht daher keinen Sinn, davon zu sprechen, dass $(f,A,B)$ und $(f,C,D)$ "gleich" sind, weil das Symbol $f$ immer in Verbindung mit den anderen Daten in der Form eines Tripels $(f,A,B)$ anzusehen ist. Insofern sind die Hom-Räume "disjunkt" (vorausgesetzt man kann diesem Begriff überhaupt eine brauchbare Bedeutung zuweisen; siehe den einschränkenden Zusatz von Leinster).
\quoteoff
leider gelingt es mir auch nach mehrfachem Studium nicht, deine Idee zu verstehen, wie sich die für mich gegensätzlichen Positionen vereinen lassen.
Natürlich macht die ganze Frage nach Disjunktheit nur dann Sinn, wenn man in einer Mengenlehre arbeitet, die den Durchschnitt zweier beliebiger Mengen zu bilden erlaubt.
Wenn ich dich richtig verstehe, meinst du, man brauche die Disjunktheit nicht zu fordern, aber erhalte trotzdem Disjunktheit?
Da würde ich die schon von tactac genannten Beispiele einer Präordnung als Kategorie oder der Kategorie Set als Gegenbeispiele anführen.
Viele Grüße
Tobias
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PhysikRabe
Senior  Dabei seit: 21.12.2009 Mitteilungen: 2763
Wohnort: Rabennest
 | Beitrag No.9, eingetragen 2023-02-01
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\quoteon(2023-02-01 14:29 - tobit09 in Beitrag No. 7)
Findet z.B. jemand einen Kategorientheoretischen Sachverhalt, der nicht mehr gilt, wenn man auf die Disjunktheitsforderung verzichtet?
\quoteoff
Nicht wirklich. Aus meiner Sicht ist es eine Frage der Perspektive bzw. Konvention. Wenn die Disjunktheit explizit notwendig wäre, dann würde sie in jeder Definition einer Kategorie aufscheinen; tatsächlich gibt es diese Bedingung aber in der überwiegenden Mehrheit der Texte gar nicht. Es ist nur einfach so, dass es nützlich ist, für Morphismen eindeutige "Source" und "Target" zu haben, etwa in dieser Formulierung einer Kategorie. Dadurch ist automatisch eine Form von "Disjunktheit" gegeben, wenn man das so formulieren möchte, denn "Source"- und "Target"-Abbildungen können (sollen) nicht mehrwertig sein.
Ich verweise an dieser Stelle auch nochmal auf diese Frage auf MSE; siehe die Kommentare direkt unter der Frage (insbesondere jene der User "Baby Dragon" und "Daniel Gerigk"), die auch recht aufschlussreich sind.
Grüße,
PhysikRabe
[Die Antwort wurde nach Beitrag No.7 begonnen.]
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Lavendeltee
Aktiv  Dabei seit: 04.12.2022 Mitteilungen: 23
 | Beitrag No.10, eingetragen 2023-02-01
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Hallo,
die beiden möglichen Definitionen einer Kategorie geben jeweils Anlass zu einer $2$-Kategorie $\mathrm{Cat}$ bzw. $\mathrm{Cat}_{\sqcup}$. Man hat einen offensichtlichen $2$-Funktor $\mathrm{Cat}_{\sqcup} \to \mathrm{Cat}$ und einen $2$-Funktor $\mathrm{Cat} \to \mathrm{Cat}_{\sqcup}$, welcher eine Kategorie $\mathscr{C}$ mit nicht notwendigerweise disjunkten Hom-Mengen abbildet auf die Kategorie $\mathscr{C}_{\sqcup}$, mit Morphismenmengen $\mathrm{Hom}_{\mathscr{C}_{\sqcup}}(A, B) := \{A\} \times \{B\} \times \mathrm{Hom}_{\mathscr{C}}(A, B)$. Zusammen mit einigen weiteren Daten bilden diese Funktoren eine Äquivalenz von $2$-Kategorien.
Viele Grüße
Lavendeltee
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Lavendeltee
Aktiv  Dabei seit: 04.12.2022 Mitteilungen: 23
 | Beitrag No.11, eingetragen 2023-02-02
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\quoteon(2023-01-31 15:13 - tobit09 im Themenstart)
Meine Frage dazu: Geht irgendetwas in der Kategorientheorie schief, wenn die Pfeilmengen nicht paarweise disjunkt sind? Hat jemand dazu ein möglichst einfaches Beispiel?
\quoteoff
Ich habe im anderen Faden von diskreten Faserungen gesprochen. Die Definition lautet dort: Ein Funktor $F \colon C \to D$ ist eine diskrete Faserung, wenn es für jedes Objekt $c$ in $C$ und jeden Morphismus der Form $g \colon b \to F(c)$ in $B$ genau einen Moprhismus $h \colon d \to c$ in $C$ mit $F(h) = g$ gibt.
In dieser Definition wird von disjunkten Hom-Mengen, bzw. dieser, von Physikrabe verlinkten, Definition ausgegangen. Wenn man das nicht tut, muss die Definition lauten: Ein Funktor $F \colon C \to D$ ist eine diskrete Faserung, wenn es für jedes Objekt $c$ in $C$, jedes Objekt $b$ in $B$ und jeden Morphismus $g \colon b \to F(c)$ in $B$ genau ein Paar $(d, h)$ mit $d \in \mathrm{Ob}(C)$, $h \colon d \to c$ und $F(d) = b$ sowie $F(h) = g$ gibt.
Übrigens hat man dieselben Fragen auch schon, wenn man über Graphen oder gerichtete Graphen mit Mehrfachkanten spricht: Ist ein Graph eine Zuordnung, welche jeder zweielementigen Teilmenge $\{a, b\} \subset V$ einer Knotenmenge $V$ eine Kantenmenge $E(\{a, b\})$ zuordnet? Oder fordert man zusätzlich, dass für $\{a, b\} \neq \{a', b'\}$ die Disjunktheit $E(\{a, b\}) \cap E(\{a', b'\}) = \emptyset$ gilt? Oder formalisiert man das ganze als eine Menge $V$ und eine Menge $E$ zusammen mit einer Abbildung von der Kantenmenge $E$ in die Menge aller zwei-elementigen Teilmengen von $V$?
Viele Grüße
Lavendeltee
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tobit09
Aktiv  Dabei seit: 24.04.2018 Mitteilungen: 79
 | Beitrag No.12, vom Themenstarter, eingetragen 2023-02-03
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Hallo Lavendeltee,
vielen Dank für auch hier für deine Beiträge! :-)
Von den beiden von dir genannten Definitionen von diskreten Faserungen gefällt mir (mal abgesehen vom offensichtlichen Tippfehler B vs. D) die zweite wesentlich besser, denn:
- In der ersten Definition löst schon das nicht ganz sauber eingeführte b Unbehagen bei mir aus; spätestens beim d frage ich mich, wie das genau gemeint ist und warum das nicht klar ausgeschrieben wird wie in der zweiten Definition.
- Ich finde es sauberer erst dann F(h)=g zu schreiben, wenn vorher sichergestellt ist, dass F(h) und g gleiche Domain und Codomain haben.
Mein Fazit: Leinsters Wunsch nach Disjunktheit (den er ohnehin wenige Zeilen später schon wieder zu vergessen scheint) erscheint mir im Prinzip überflüssig. Allerdings muss man offenbar bei (aus meiner Sicht unschön formulierten) Definitionen aufpassen, wie sie ohne Disjunktheits-Voraussetzung zu lesen sind.
Viele Grüße
Tobias
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| Folgende Antworten hat der Fragensteller vermutlich noch nicht gesehen. Er/sie war noch nicht wieder auf dem Matheplaneten |
Lavendeltee
Aktiv  Dabei seit: 04.12.2022 Mitteilungen: 23
 | Beitrag No.13, eingetragen 2023-02-03
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\quoteon(2023-02-03 12:56 - tobit09 in Beitrag No. 12)
- Ich finde es sauberer erst dann F(h)=g zu schreiben, wenn vorher sichergestellt ist, dass F(h) und g gleiche Domain und Codomain haben.
\quoteoff
Ah, ein Typentheoretiker also :-)
Viele Grüße
Lavendeltee
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Triceratops
Aktiv  Dabei seit: 28.04.2016 Mitteilungen: 6472
Wohnort: Berlin
 | Beitrag No.14, eingetragen 2023-02-11
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Hier wurden sehr gute Antworten gegeben. Insbesondere den Antworten von PhysikRabe stimme ich vollständig zu.
Ich würde die Beiträge von Lavendeltee noch einmal etwas leichter verständlich erklären. Ich arbeite in einer materiellen Mengenlehre (ansonsten stellt sich das Problem wie beschrieben auch gar nicht).
Es gibt zwei (oder drei, s.u.) Sichtweisen / Definitionen von Kategorien, die zunächst einmal rein oberflächlich gesehen verschieden sind. Der Unterschied tritt bereits bei "Kategorien ohne Komposition", also Köchern auf. Also konzentrieren wir uns einmal darauf. Für Kategorien verläuft die Diskussion völlig analog.
- Ein Köcher besteht aus zwei Mengen $V,E$ (vertices, edges) und zwei Abbildungen $s,t : E \to V$ (source, target).
- Ein Köcher besteht aus einer Menge $V$ und für je zwei $a,b \in V$ einer Menge $E(a,b)$.
Und dann noch eine dritte: - Ein Köcher besteht aus einer Menge $V$ und für je zwei $a,b \in V$ einer Menge $E(a,b)$, sodass diese Mengen paarweise disjunkt sind. Positiv formuliert: Wenn es ein $e \in E(a,b) \cap E(a',b')$ gibt, dann ist $a=a'$ und $b=b'$.
Es ist jeweils klar, wie man Morphismen von Köchern definiert. In der ersten Definition hat man Abbildungen $E \to E'$, $V \to V'$ sodass das Diagramm kommutiert. In der zweiten (und dritten) Definition hat man Abbildungen $f : V \to V'$ und $E(a,b) \to E'(f(a),f(b))$.
Wir erhalten damit drei Kategorien $\mathcal{K}_1,\mathcal{K}_2,\mathcal{K}_3$. Diese Kategorien sind zwar nicht identisch, aber – wie wir jetzt sehen werden – im Wesentlichen gleich.
- Es gibt einen Inklusionsfunktor $A: \mathcal{K}_3 \hookrightarrow \mathcal{K}_2$.
- Es gibt einen Funktor $B : \mathcal{K}_1 \to \mathcal{K}_3$, der $(V,E,s,t)$ auf $(V,E(-,-))$ mit $E(a,b) := \{e \in E : s(e)=a,\, t(e)=b\})$ abbildet. Beachte, dass dieser Funktor tatsächlich in $\mathcal{K}_3$ landet, weil die Mengen $E(a,b)$ tatsächlich paarweise disjunkt sind.
- Es gibt einen Funktor $C : \mathcal{K}_2 \to \mathcal{K}_1$, der $(V,E(-,-))$ auf $(V,E,s,t)$ mit $E := \coprod_{a,b \in V} E(a,b) = \bigcup_{a,b \in V} \{a\} \times \{b\} \times E(a,b)$ und $s(a,b,e) := a$, $t(a,b,e) := b$ abbildet.
- Ganz ähnlich können wir einen Funktor $D : \mathcal{K}_3 \to \mathcal{K}_1$ definieren, wo wir aber wegen der vorausgesetzten Disjunktheit nicht mehr die disjunkte Vereinigung nehmen müssen (das wäre die Komposition $C \circ A$), sondern die normale Vereinigung nehmen können.
$\require{xypic} \xymatrix@R=30pt{ \mathcal{K}_1 \ar@<-1ex>[dr]_{B} && \mathcal{K}_2 \ar[ll]_{C} \\ & \mathcal{K}_3 \ar[ul]_{D} \ar[ur]_{A} & }$ Jetzt rechnen wir die Kompositionen aus:
- Die Komposition $A \circ B \circ C : \mathcal{K}_2 \to \mathcal{K}_2$ schickt $(V,E(-,-))$ auf $(V,E'(-,-))$ mit $E'(a,b) = \{a\} \times \{b\} \times E(a,b)$. Es gibt einen natürlichen Isomorphismus $(V,E(-,-)) \cong (V,E'(-,-))$. Daher ist $A \circ B \circ C \cong \mathrm{id}_{\mathcal{K}_2}$. Beachte, dass $A \circ B \circ C$ nicht gleich dem Identitätsfunktor ist.
- Die Komposition $C \circ A \circ B : \mathcal{K}_1 \to \mathcal{K}_1$ schickt $(V,E,s,t)$ auf $(V,E',s',t')$ mit $E' = \coprod_{a,b \in V} \{e \in E : s(e)=a,\, t(e)=b\}$ abbildet. Es gibt einen natürlichen Isomorphismus $E \cong E'$, bzw. $(V,E,s,t) \cong (V,E',s',t')$. Daher ist $C \circ A \circ B \cong \mathrm{id}_{\mathcal{K}_1}$. Beachte wieder, dass $C \circ A \circ B$ nicht gleich dem Identitätsfunktor ist.
- Der Funktor $A \circ B : \mathcal{K}_1 \to \mathcal{K}_2$ ist also pseudo-invers zum Funktor $C : \mathcal{K}_2 \to \mathcal{K}_1$. Folglich handelt es sich um Äquivalenzen von Kategorien. (Es handelt sich nicht um Isomorphismen von Kategorien!)
- Der Funktor $A$ ist volltreu und auch essentiell surjektiv, weil es $A \circ B$ ist. Daher ist auch $A$ eine Äquivalenz von Kategorien.
- Die Komposition $D \circ B : \mathcal{K}_1 \to \mathcal{K}_1$ ist isomorph zur Identität. Die Komposition $B \circ D : \mathcal{K}_3 \to \mathcal{K}_3$ ist gleich der Identität. Also sind auch $B,D$ Äquivalenzen.
Alle drei Begriffe von Köchern sind also "im Wesentlichen" gleich. Und entsprechend verhält es sich dann mit den drei Begriffen von Kategorien.
Was vielleicht den Sachverhalt noch deutlicher macht, ist das folgende Beispiel von Kategorien: Sei $\mathcal{C} = \mathbf{Set} \times \mathbf{Set}$ die Kategorie der Paare von Mengen. Es sei $\mathcal{C}' \subseteq \mathcal{C}$ die volle Unterkategorie, die aus den Paaren von disjunkten Mengen besteht. Natürlich ist $\mathcal{C} \neq \mathcal{C}'$, und vermutlich sind $\mathcal{C}$ und $\mathcal{C}'$ auch nicht zueinander isomorph. Aber trotzdem ist die Inklusion $\mathcal{C}' \hookrightarrow \mathcal{C}$ eine Äquivalenz von Kategorien. Tatsächlich ist jedes Paar von Mengen $(A,B)$ zum Paar $(\{0\} \times A, \{1\} \times B)$ isomorph, das in $\mathcal{C}'$ liegt.
Wie bereits in den vorigen Beiträgen erklärt worden ist: die Variante (3) oben gibt es ohnehin nur in materiellen Mengenlehren und hat auch keine praktische Relevanz. Von zwei Mengen die Disjunktheit zu fordern, die nichts miteinander zu tun haben, "ergibt keinen Sinn".
Es gibt dann eigentlich nur zwei relevante Sichtweisen auf Kategorien:
- (Globale Definition) Eine Kategorie besteht aus zwei Mengen $O,M$ (objects, morphisms) und zwei Abbildungen $s,t : M \to O$ (source, target) und Daten zur Komposition.
- (Lokale Definition) Eine Kategorie besteht aus einer Menge $O$ und für je zwei $a,b \in O$ einer Menge $M(a,b)$ sowie Daten zur Komposition.
Wir haben oben gesehen, dass sie zwar äquivalent sind. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. In der Praxis ergeben sich hier nämlich deutliche Unterschiede:
Die Definition (1) ist wunderbar geeignet, um den Begriff der Kategorie zu internalisieren. Man ersetzt dazu einfach "Menge" durch "Objekt von $\mathcal{C}$" für eine Kategorie $\mathcal{C}$ mit endlichen Limites. Vor allem interne Gruppoide sind in der algebraischen Topologie und algebraischen Geometrie wichtig.
Die Definition (2) ist wunderbar geeignet, um die gängigen Beispiele von Kategorien zu definieren. Niemand (außerhalb der Ehresmann-Schule, aber das ist ein anderes Kapitel) würde auf die Idee kommen, die Kategorie der Gruppen über die Menge aller Gruppenhomomorphismen zu definieren. Man definiert stets für je zwei Gruppen $A,B$, was die Menge aller Homomorphismen $A \to B$ sein soll. Dasselbe gilt auch für allgemeine Konstruktionen mit Kategorien.
Die Definition (2) passt außerdem sehr gut zum allgemeineren Begriff der angereicherten Kategorie. Hierbei setzt man die Hom-Mengen $M(a,b)$ durch Objekte einer monoidalen Kategorie.
Es hängt also stark vom Kontext ab, ob (1) oder (2) die passende Sichtweise auf Kategorien ist. Und in den genannten Verallgemeinerungen ergeben sich dann eben doch Unterschiede. Zum Beispiel ist eine $\mathbf{Top}$-interne Kategorie nicht dasselbe wie eine $\mathbf{Top}$-angereicherte Kategorie (leider werden beide "topologische Kategorien" genannt). Das liegt daran, dass für einen topologischen Raum $X$ mit disjunkten Teilräumen $(X_i)_{i \in I} \subseteq X$ mit $\bigcup_{i \in I} X_i = X$ die induzierte Abbildung $\coprod_{i \in I} X_i \to X$ nicht unbedingt ein Homöomorphismus sein muss. Die entsprechende Aussage in $\mathbf{Set}$ gilt und hatten wir oben bei $C \circ B \circ A \cong \mathrm{id}$ verwendet.
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