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Analysis » Differentialgeometrie » Differentialformen: Wie macht man aus ω ein dω?
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Universität/Hochschule J Differentialformen: Wie macht man aus ω ein dω?
magnolie88
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  Themenstart: 2023-09-21

Hallo, ich bin gerade beim Kapitel Differentialformen bisschen am verzweifeln. Wie macht man aus einem \(\omega\) ein d\(\omega\)?


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nzimme10
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  Beitrag No.1, eingetragen 2023-09-21

\(\begingroup\)\(\renewcommand{\i}{\mathrm{i}} \renewcommand{\Re}{\operatorname{Re}} \renewcommand{\Im}{\operatorname{Im}} \newcommand{\e}{\mathrm{e}} \renewcommand{\d}{\mathrm{d}} \renewcommand{\dd}{\ \mathrm d} \newcommand{\ddz}{\frac{\mathrm{d}}{\mathrm{d}z}} \newcommand{\ddw}{\frac{\mathrm{d}}{\mathrm{d}w}} \newcommand{\ddt}{\frac{\mathrm{d}}{\mathrm{d}t}} \newcommand{\opn}{\operatorname} \newcommand{\rot}{\opn{rot}} \newcommand{\div}{\opn{div}} \renewcommand{\vec}[3]{\begin{pmatrix} #1 \\ #2 \\ #3 \end{pmatrix}}\) Hallo, die Frage ist so natürlich etwas allgemein. $\d\omega$ steht für die äußere Ableitung der Differentialform $\omega$. Um eine gute Antwort zu erhalten solltest du vielleicht auch etwas Kontext geben. Was für eine Differentialform ist $\omega$? Wo "lebt" sie? Betrachtest du das ganze auf einer Teilmenge von $\mathbb R^n$ oder allgemein im Kontext von Mannigfaltigkeiten? etc. LG Nico\(\endgroup\)


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magnolie88
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  Beitrag No.2, vom Themenstarter, eingetragen 2023-09-22

\quoteon(2023-09-21 20:40 - nzimme10 in Beitrag No. 1) Hallo, die Frage ist so natürlich etwas allgemein. $\d\omega$ steht für die äußere Ableitung der Differentialform $\omega$. Um eine gute Antwort zu erhalten solltest du vielleicht auch etwas Kontext geben. Was für eine Differentialform ist $\omega$? Wo "lebt" sie? Betrachtest du das ganze auf einer Teilmenge von $\mathbb R^n$ oder allgemein im Kontext von Mannigfaltigkeiten? etc. LG Nico \quoteoff Hallo, danke für die Antwort. Ja, die Frage war etwas zu allgemein. In unerser Vorlesung hatten wir das ganze auf einer Teilmenge des \(\mathbb R^n\) betrachtet. Mein Problem ist, dass ich das in der Mathematik nicht so ganz verstehe, was ich machen muss, wenn ich den Satz von Stokes anwenden will. Also ich weiß, dass ich den Rand mit \(\partial c = c_1 + c_2 - c_3 - c_4\) berechnen kann, aber wie genau ich dann im Integral von \(d \omega\) auf \(\omega\) komme, erschließt sich mir nicht ganz. Ich weiß, dass man Differentialformen zurückziehen kann, aber verstehe nicht ganz, wie ich das mit einer konkreten Funktion mache. Also ich hatte die Integralsätze bereits im ersten Semester in Physik kennengelernt und dort wurde es natürlich anwendungsbezogener erklärt, daher tue ich mich mit der Mathematik etwas schwerer...


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nzimme10
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  Beitrag No.3, eingetragen 2023-09-22

\(\begingroup\)\(\renewcommand{\i}{\mathrm{i}} \renewcommand{\Re}{\operatorname{Re}} \renewcommand{\Im}{\operatorname{Im}} \newcommand{\e}{\mathrm{e}} \renewcommand{\d}{\mathrm{d}} \renewcommand{\dd}{\ \mathrm d} \newcommand{\ddz}{\frac{\mathrm{d}}{\mathrm{d}z}} \newcommand{\ddw}{\frac{\mathrm{d}}{\mathrm{d}w}} \newcommand{\ddt}{\frac{\mathrm{d}}{\mathrm{d}t}} \newcommand{\opn}{\operatorname} \newcommand{\rot}{\opn{rot}} \newcommand{\div}{\opn{div}} \let\oldvec=\vec \renewcommand{\vec}[3]{\begin{pmatrix} #1 \\ #2 \\ #3 \end{pmatrix}}\) Hallo, das ist natürlich immer noch eine sehr allgemeine Frage. Mit Differentialformen kann man in der Praxis eigentlich einfach so rechnen, wie man es vielleicht naiv mit Differentialen machen würde. Wichtig sind da vor allem die grundlegenden Eigenschaften der äußeren Ableitung, welche sie eindeutig festlegen:
Satz. Es sei $U\subseteq \mathbb R^n$ offen. Es gibt genau eine $\mathbb R$-lineare Abbildung $\d\colon \Omega(U)\to \Omega(U)$ mit den folgenden Eigenschaften: $\bullet$ Für eine $0$-Form $f\in C^\infty(U)$ und ein Vektorfeld $X$ auf $U$ gilt $\d f(X)=X(f)$. $\bullet$ Für jede $k$-Form $\omega$ ist $\d\omega$ eine $(k+1)$-Form. $\bullet$ Für jede $k$-Form $\omega$ gilt $\d(\d \omega)=0\in \Omega^{k+2}(U)$. $\bullet$ $\d(\omega\wedge \eta)=\d\omega\wedge\eta +(-1)^\ell\omega\wedge\d \eta$ für eine $\ell$-Form $\omega$ und eine beliebige Form $\eta$.
$\Omega(U):=\bigoplus_{k=0}^n \Omega^k(U)$ bezeichnet dabei die äußere Algebra der Differentialformen auf $U$. Betrachten wir für eine offene Menge $U\subseteq \mathbb R^n$ zunächst eine glatte Funktion $f\colon U\to \mathbb R$. Hier stimmt die äußere Ableitung $\d f$ mit dem Differential aus der mehrdimensionalen Analysis überein, d.h. für $p\in U$ und einen Vektor $X\in \mathbb R^n$ ist $(\d f)_p(X)$ die Richtungsableitung von $f$ im Punkt $p$ entlang (in Richtung) $X$. Zum Beispiel in kartesischen Koordinaten $x^1,\dots,x^n$ liefert das $$ \d f=\sum_{j=1}^n\frac{\partial f}{\partial x^j} \dd x^j. $$ Das ist der wichtigste Spezialfall. Für Differentialformen eines höheren Grades führt man die äußere Ableitung immer auf diesen Spezialfall zurück: Betrachten wir eine allgemeine glatte $k$-Form auf $U$ zum Beispiel in kartesischen Koordinaten: $$ \omega=\sum_{1\leq i_1<\dotsBeispiel. Es seien $x^1,x^2$ die kartesischen Koordinaten auf $\mathbb R^2$ und $\omega=\omega_1\dd x^1+\omega_2\dd x^2$. Dann ist $$ \begin{align*} \d\omega &=\d\omega_1\wedge\d x^1+\d\omega_2\wedge\d x^2 \\ &=\left(\frac{\partial\omega_1}{\partial x^1}\dd x^1+\frac{\partial\omega_1}{\partial x^2}\dd x^2\right)\wedge\d x^1+\left(\frac{\partial\omega_2}{\partial x^1}\dd x^1+\frac{\partial\omega_2}{\partial x^2}\dd x^2\right)\wedge\d x^2 \\ &=\left(\frac{\partial\omega_2}{\partial x^1}-\frac{\partial\omega_1}{\partial x^2}\right) \dd x^1\wedge\d x^2. \end{align*} $$ Für höhere Differentialformen sind die Rechnungen völlig analog; höchstens etwas länger. Es ist instruktiv, wenn du mal in $\mathbb R^3$ die äußere Ableitung einer $1$-Form und einer $2$-Form berechnest. Dabei wirst du eine Entdeckung machen :) Eine weitere wichtige Eigenschaft der äußeren Ableitung ist ihre Natürlichkeit (in einem technischen Sinne). Genauer heißt das, dass sie mit dem Zurückziehen ("pullback") vertauscht: $$ \d(\varphi^*\omega)=\varphi^*(\d\omega). $$ Das braucht man bei der Integration oft, denn das Zurückziehen ist eine der wesentlichen Operationen bei einem Koordinatenwechsel.
Beispiel. Betrachten wir zum Beispiel die Karte $$ \varphi\colon (0,\infty)\times (0,2\pi)\to \mathbb R^2, \ (r,\theta)\mapsto (r\cos(\theta),r\sin(\theta)). $$ Sind $x^1,x^2$ die kartesischen Koordinaten auf $\mathbb R^2$, dann haben wir (mit ein bisschen abuse of notation) $$ \begin{align*} \varphi^*(\d x^1\wedge\d x^2) &=\varphi^*(\d x^1)\wedge\varphi^*(\d x^2) \\ &=\d(\varphi^*x^1)\wedge\d(\varphi^*x^2) \\ &=\d(x^1\circ\varphi)\wedge\d(x^2\circ\varphi) \\ &=r\dd r\wedge\d\theta. \end{align*} $$
Wenn es ein konkretes Beispiel gibt, das du gerne mal besprechen würdest, lass es mich gerne wissen. LG Nico P.S.: Du kannst ganz unten auf "post reply" drücken anstatt auf "quote" unter einem der Beiträge, wenn du nicht gerade immer den gesamten vorherigen Beitrag zitieren willst.
\(\endgroup\)


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magnolie88
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  Beitrag No.4, vom Themenstarter, eingetragen 2023-09-23

Hallo Nico, vielen Dank für deine ausführliche Anwort. Ich habe jetzt schon deutlich mehr verstanden, als zuvor! Da ich noch relativ am Anfang vom Studium bin, fällt es mir schwer bei den ganzen Begriffen wie "außere Ableitung", "k-Form", "Klasse einer FUnktion" den Überblick zu behalten und da die Zusammenhänge zu erkennen. Ich hätte auch noch paar Fragen zu einer konkreten Aufgabe, aber die versuche ich jetzt erstmal selbst zu verstehen... LG magnolie88


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nzimme10
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  Beitrag No.5, eingetragen 2023-09-23

Hallo nochmal, vor allem dann wäre es sehr sinnvoll, wenn du in Zukunft ein bisschen mehr schreibst, als nur eine sehr kurz formulierte Frage ohne Kontext. Vielleicht auch eine konkrete Fragestellung / Aufgabe, die du im Kopf hast. Dann kann man viel besser einschätzen, bei welchem Stand du aktuell bist und worum es dir im Detail geht. LG Nico


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magnolie88
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  Beitrag No.6, vom Themenstarter, eingetragen 2023-09-25

\quoteon(2023-09-23 18:38 - nzimme10 in Beitrag No. 5) Hallo nochmal, vor allem dann wäre es sehr sinnvoll, wenn du in Zukunft ein bisschen mehr schreibst, als nur eine sehr kurz formulierte Frage ohne Kontext. Vielleicht auch eine konkrete Fragestellung / Aufgabe, die du im Kopf hast. Dann kann man viel besser einschätzen, bei welchem Stand du aktuell bist und worum es dir im Detail geht. LG Nico \quoteoff Hallo Nico, ich versuche mein Problem mal anhand der folgenden Aufgabe zu erläutern. Die Aufgabe lautet "Berechnen Sie das Integral der 1-Form \(\omega = \frac{-ydx+xdy}{x^2 + y^2}\) über den Rand des Dreiecks mit den Eckpunkten A=(-5,-2), B=(5,-2), C=(0,3)" Mein erstes Problem ist, dass ich nicht ganz verstehe, was eine 1-Form ist. Ich weiß, das der Integrand eines Wegintegrals z.B. eine 1-Form ist. Ich weiß auch, dass man durch die äußere Ableitung einer k-Form eine (k+1)-Form erhält. Bedeutet das dann auch, dass ich, wenn ich eine glatte Funktion, also eine 0-Form mit der äußeren Ableitung ableite, was hier ja der "normalen Ableitung" entspricht, ich dann eine solche 1-Form bekomme? Nun zurück zur Aufgabe: als erstes "sortiere" ich nach dx und dy, d.h.\[\omega = \frac{-ydx+xdy}{x^2 + y^2} = \frac{-y}{x^2 + y^2}dx + \frac{x}{x^2 + y^2}dy \] Ich weiß, man kann in der Aufgabe den Satz von Stokes, also \(\int_{\partial c} \omega = \int_{c} d \omega\) anwenden. Ich weiß auch, dass gilt: \[\int_{c} d \omega\ = \int_{[0,1]^k} c^{\ast}d \omega = \int_{[0,1]^k} dc^{\ast} \omega\] Bei dem ganzen muss dann gelten: c eine k-Kette von der Klasse \(C^2\) in einer offenen Menge V ⊂ \(\mathbb{R}^n\) und ω ist eine (k − 1)-Form der Klasse \(C^1\) in V. Nun kommt die Schwierigkeit: Ich muss die einzelnen \(c_i\) finden, die mein Dreieck beschreiben. Ich denke mal, ich habe hier einen singulären 2-Würfel mit \(c:[0,1]^2 \rightarrow U\) und der Rand setzt sich wie folgt zusammen: \(\partial c = c_1 + c_2 - c_3 - c_4\). Das bedeutet ich brauche vier verschiedene \(c_i\). Wenn ich als \(c_i\) aber einfach nur die 3 Seiten des Dreiecks nehme, habe ich nur drei verschiedene c. Wo liegt der Fehler? Wenn ich das Integral dann berechnen will, dann ist das Integral in diesem Fall: \[\int_{\partial c} \omega = \sum_{i=1}^{4}\int_{c_i} dc_{i}^{\ast}\omega\] oder? Von dem Zurückziehen weiß ich, dass ich das d rein und rausziehen kann, also, dass das vertauschbar ist. Und was muss ich jetzt, z.B. hier in der Aufgabe, beim Zurückziehen rechnen, dass aus einem konkreten \(c_i\) und einem konkreten \(\omega\) einen Wert für \(c^{\ast}\omega\) bekomme? Und wie bilde ich dann davon noch die äußere Ableitung dieser 1-Form (oder 2-Form). Da es sich nicht um eine 0-Form handelt, ist diese ja anders, als die "normale Ableitung". Ich bin sehr dankbar für eure Hilfe!!! LG magnolie88


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nzimme10
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  Beitrag No.7, eingetragen 2023-09-27

\(\begingroup\)\(\renewcommand{\i}{\mathrm{i}} \renewcommand{\Re}{\operatorname{Re}} \renewcommand{\Im}{\operatorname{Im}} \newcommand{\e}{\mathrm{e}} \renewcommand{\d}{\mathrm{d}} \renewcommand{\dd}{\ \mathrm d} \newcommand{\ddz}{\frac{\mathrm{d}}{\mathrm{d}z}} \newcommand{\ddw}{\frac{\mathrm{d}}{\mathrm{d}w}} \newcommand{\ddt}{\frac{\mathrm{d}}{\mathrm{d}t}} \newcommand{\opn}{\operatorname} \newcommand{\rot}{\opn{rot}} \newcommand{\div}{\opn{div}} \let\oldvec=\vec \renewcommand{\vec}[3]{\begin{pmatrix} #1 \\ #2 \\ #3 \end{pmatrix}}\) Hallo, eine $1$-Form auf einer offenen Menge $U\subseteq \mathbb R^2$ in diesem konkreten Kontext ist eine Abbildung $\omega\colon U\to L(\mathbb R^2,\mathbb R)$, die jedem $p\in U$ eine lineare Abbildung $\omega_p\colon \mathbb R^2\to \mathbb R$ zuordnet (man kann sagen: ein Kovektorfeld). Bei einem Vektorfeld wird jedem Punkt ein Vektor zugeordnet. Bei einer $1$-Form wird nun eben jedem Punkt ein Kovektor (eine lineare Abbildung $\mathbb R^2\to \mathbb R$) zugeordnet. Das wichtigste Beispiel (siehe meinen Beitrag oben) ist das Differential $\d f$ einer differenzierbaren Funktion $f\colon U\to \mathbb R$. Hier wird jedem $p\in U$ das Differential $(\d f)_p$ von $f$ in $p$ zugeordnet. Für eine ausführlichere Erklärung, wie das Differential hier zu verstehen ist, siehe z.B. https://matheplanet.de/matheplanet/nuke/html/article.php?sid=1996#s64559 Man ist da oft etwas nachlässig (oder eher: bequem) bei der Notation. Am Anfang ist das aber eher hinderlich. Wenn ich zum Beispiel von der $1$-Form $\eta=x\dd x+ y\dd y$ spreche, dann meine ich damit eigentlich die $1$-Form $\eta$, die einem Punkt $(u,v)\in \mathbb R^2$ die lineare Abbildung $u \dd x+v \dd y$ zuordnet. $\d x$ steht dabei einfach für die Projektion auf den ersten Eintrag und $\d y$ für die Projektion auf den zweiten Eintrag, d.h. $\d x(a,b)=a$ und $\d y(a,b)=b$. Hier stehen $x$ und $y$ für die kartesischen Koordinaten von $\mathbb R^2$, welche man formal als Abbildungen $\mathbb R^2\to \mathbb R$ verstehen sollte. Dabei ist $x(u,v)=u$ und $y(u,v)=v$. $\d x$ und $\d y$ kann man dann wörtlich als Ableitungen von $x$ und $y$ verstehen (daher auch die Notation). Etwas päpstlich formuliert meine ich mit $\eta=x \dd x+y\dd y$ also eigentlich die Abbildung $$ \eta\colon \mathbb R^2\to L(\mathbb R^2,\mathbb R), \ (u,v)\mapsto \eta_{(u,v)}, $$ wobei $\eta_{(u,v)}$ die lineare Abbildung $$ \eta_{(u,v)}\colon \mathbb R^2\to \mathbb R, \ \eta_{(u,v)}(a,b)=u \dd x(a,b)+v \dd y(a,b)=ua+vb $$ ist. Für Physiker auch relevant ist, dass man mit Hilfe des Skalarprodukts jedem Vektorfeld eine $1$-Form und jeder $1$-Form ein Vektorfeld zuordnen kann. Es bezeichne $\langle\cdot,\cdot\rangle$ das Standardskalarprodukt auf $\mathbb R^2$. Ist $V\colon U\to \mathbb R^2, \ p\mapsto V_p$ ein Vektorfeld, so kann man die $1$-Form $$ \flat(V)\colon U\to L(\mathbb R^2,\mathbb R), \ p\mapsto \langle V_p,\cdot\rangle $$ bekommen. Das kennst du aus der Physik von dem Begriff der Arbeit. Dort integriert man einen Ausdruck der Form $$ \langle V_{\gamma(t)},\gamma'(t)\rangle=\flat(V)_{\gamma(t)}(\gamma'(t)). $$ Ist umgekehrt $\omega\colon U\to L(\mathbb R^2,\mathbb R), \ p\mapsto \omega_p$ eine $1$-Form, dann gibt es für jedes $p\in U$ einen eindeutig bestimmten Vektor $\sharp(\omega)_p$ mit $$ \omega_p=\langle \sharp(\omega)_p,\cdot\rangle. $$ Durch $p\mapsto \sharp(\omega)_p$ erhält man ein Vektorfeld $\sharp(\omega)$ auf $U$. Zum Beispiel gilt damit für eine differenzierbare Funktion $f\colon U\to \mathbb R$ $$ \flat(\nabla f)=\d f \ \text{ bzw. } \ \nabla f=\sharp(\d f). $$ Nun zu deiner Aufgabe: Hier kann man den Satz von Stokes nicht anwenden, weil das Dreieck eine Singularität von $\omega$ umläuft: $\omega$ ist in $(0,0)$ nicht definiert. Am Ende der Aufgabe wirst du auch nochmal auf andere Weise sehen, dass Stokes hier nicht greift. Hier muss man "von Hand" rechnen. Der Rand des Dreiecks, nennen wir ihn $\Delta$, besteht aus drei $1$-Simplizes $\gamma_j\colon [0,1]\to \mathbb R^2$ gegeben durch $$ \gamma_1(t)=(1-t)A+tB, \ \gamma_2(t)=(1-t)B+tC, \ \gamma_3(t)=(1-t)C+tA. $$ Als $1$-Kette also $\Delta=\gamma_1+\gamma_2+\gamma_3$. Nun kann man das Integral von $\omega$ entlang der drei Randstücke berechnen und am Ende die drei Integrale addieren. Ich führe das mal für $\gamma_1$ vor. Konkret ist $$ \gamma_1(t)=(10t-5,-2) \implies \gamma_1'(t)=(10,0) $$ und damit $$ \begin{align*} \int_{\gamma_1} \omega =\int_0^1 \omega_{\gamma_1(t)}(\gamma_1'(t)) \dd t &=\int_0^1 \frac{2\dd x(\gamma_1'(t))+(10t-5)\dd y(\gamma_1'(t))}{4+(10t-5)^2} \dd t \\ &=\int_0^1 \frac{2\cdot 10+(10t-5)\cdot 0}{4+(10t-5)^2} \dd t \\ &=\int_0^1 \frac{20}{4+(10t-5)^2} \dd t. \end{align*} $$ Das ist jetzt noch ein gewöhnliches Integral, welches man mit den üblichen Methoden berechnen kann: $$ \int_0^1 \frac{20}{4+(10t-5)^2} \dd t=\int_{-5}^5 \frac{1}{2}\frac{1}{1+(u/2)^2} \dd u=2\arctan(5/2). $$ Das musst du nun noch mit $\gamma_2$ und $\gamma_3$ wiederholen. Das ist auf jeden Fall eine gute Übung im Umgang damit. Man kann allerdings auch etwas "cleverer" vorgehen und bemerken, dass $\d\omega=0$ ist, $\omega$ also geschlossen ist. Zum Beispiel auf der Menge $U_1=\mathbb R\times (-\infty,0)$ ist $f_1(x,y)=\arctan(-x/y)$ ein Potential für $\omega$, d.h. wir haben $\d f_1=\omega|_{U_1}$ (in der Sprache der Vektoranalysis: $\nabla f_1=\sharp(\omega)|_{U_1}$). Das kann man einfach nachrechnen: $$ (\d f_1)_{(u,v)}=\frac{\partial f_1}{\partial x}(u,v) \dd x+\frac{\partial f_1}{\partial y}(u,v) \dd y=\frac{-v}{u^2+v^2} \dd x+\frac{u}{u^2+v^2} \dd y=\omega_{(u,v)}. $$ Damit finden wir direkt (das ist jetzt der Satz von Stokes, aber für eine $1$-Form und eine $0$-Form) $$ \int_{\gamma_1} \omega=\int_{\gamma_1} \d f_1=\int_{\partial\gamma_1} f_1=f_1(\gamma_1(1))-f_1(\gamma_1(0))=2\arctan(5/2), $$ weil $\gamma_1$ vollständig in $U_1$ enthalten ist. Du könntest für die anderen beiden Kurven auch versuchen, jeweils eine offene Menge zu finden, die die jeweilige Kurve vollständig enthält und auf der du ein Potential für $\omega$ findest. Die anderen Integrale aber auch mal "von Hand" zu berechnen schadet sicher auch nicht😄 Zuletzt noch, warum Stokes hier nicht funktioniert: Du wirst am Ende sehen, dass $\int_\Delta \omega\neq 0$ ist. Wenn man Stokes hier anwenden könnte, dann müsste aber wegen $\d\omega=0$ auch $\int_\Delta \omega=0$ sein, was nicht sein kann. In diesem Fall kann man das auch schön geometrisch erklären. $\omega$ ist die sog. Windungsform, d.h. wenn man eine Kurve $\gamma$ hat, dann kann man $\gamma(t)$ mit $(0,0)$ durch eine Linie verbinden. $\int_\gamma\omega$ gibt dann an, welchen netto Winkel diese Linie überstreicht, wenn man die Kurve $\gamma$ vom Anfang bis zum Ende durchläuft. Für eine Kurve, die $(0,0)$ einmal vollständig "umläuft" (so wie $\Delta$), ergibt sich daher $2\pi$ für das Integral. Für eine geschlossene Kurve $\gamma$, die nicht durch $(0,0)$ durchgeht, nennt man $$ n(\gamma,0):=\frac{1}{2\pi}\oint_\gamma \omega $$ daher auch die Windungszahl oder Umlaufzahl der Kurve $\gamma$ um $0$. In diesem konkreten Fall könnte man das alles auch, vermöge $(x,y)\mapsto x+\i y$, nach $\mathbb C$ übersetzen und hätte dann $$ n(\gamma,0)=\frac{1}{2\pi}\oint_\gamma \omega=\frac{1}{2\pi \i}\oint_\gamma \frac{1}{z} \dd z. $$ Ich hoffe, diese Hintergrundinformationen helfen ein bisschen beim Einordnen der Ideen. LG Nico\(\endgroup\)


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magnolie88
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Hallo Nico, vielen Dank für die ausführliche und detailreiche Antwort! Das hat mir wirklich sehr geholfen, das ganze besser einordnen zu können. Leider reichen meine Algebrakenntnisse nicht ganz aus um die Lösung meiner Aufgabe nachvollziehen zu können. Daher habe ich mir die letzten Tage einen Lösungsweg überlegt, den ich glaube eher verstehen könnte. Kann man auch die Differentialform in Polarkoordinaten transformieren und dann die Dreiecksseiten dazu passend parametrisieren bespielsweise einem Parameter s, mit dem Startpunkt der Kante bei s=0 und bei s=1 dem Endpunkt der Kante? Allerdings bin ich an der Koordinatentransformation von \(\omega\) gescheitert. Könnte mir da jemand weiterhelfen? LG magnolie88


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