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Autor |
Die Birnenernte |
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gonz
Senior  Dabei seit: 16.02.2013 Mitteilungen: 4955
Wohnort: Harz
 | Themenstart: 2023-10-01
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Hallo ihr Liebelein (und Bösen),
angeregt durch die Aufgabe zum "Brennenden Haus", zu der ja angemerkt wurde, dass Wassereimer "aus dem Nichts kommen" - was mathematisch kein Problem ist, aber vielleicht die Übertragbarkeit der Ergebnisse und ihre Relevanz fraglich erscheinen lässt - ist hier eine Variante, die sozusagen aus dem Wirklichen Leben gegriffen ist. Anwendungsmathematik eben. Und da ich solche "Verkleidungen" mag, habe ich versucht, sie in der Zeit und Phantasiewelt [1] anzusiedeln, in der Carrolls "Geschichten mit Knoten" spielen. Außerdem ist mir bei dem "brennenden Haus" aufgefallen, dass es eigentlich eine Zeitkomponente geben solle, in der die Eimer weitergereicht bzw. dem Nichts entnommen werden. Das ist hier etwas expliziter eingeflossen, und am Ende gar - weshalb der Text auch unter "Hilfe beim Denksport" zu finden ist - ist mir nicht klar, ob durch die "Resonanz" zwischen dem 10-sekündigen Suchen und Weiterleiten und dem minütlichen Kauen eine Art von Schwingung entstehen könnten, Wellen über den Baum laufen oder es gar Eigenmoden gibt... Das alles wird Clara bedenken, vielleicht hat sie auch in der Tante jemanden als Mentor, der sich mit einfachen Lösungen eben doch nicht zufrieden gibt. Ich wollte eigentlich noch den Baron aus Bodenwerder (der den Baum bestieg!) und den Herrn von Ribbeck (der sich eine Birne erbat!) als Gäste der Großmutter ins Spiel bringen, aber - das wäre zu viel gewesen. So ist es eher... britisch (glaube ich - ich kenne mich da nicht so aus).
So. Ich will mich aber kurz fassen (das sagen alle!) und hier ist:
Die Geschichte vom Birnbaum
\showon
Clara ist bei ihrer Tante zu Besuch, und begeistert von dem Landleben, an dem sie - als Stadtkind oft als stille Beobachterin - gerne teil hat. Heute werden die Birnen geerntet. Etwas, über das ihre Tante schon tagelang geredet hat und das lange Vorbereitungen des Verwalters, eines etwas beleibten gutmütigen Mannes, erforderte. Nun ist der große Tag gekommen. Zu ihrer Verwunderung stellt Clara fest, dass es nur einen Baum gibt, unter dem eine einzige stämmige unermüdliche Frau die Früchte, die ihr von oben zugereicht werden, annimmt und in Körbe legt. Diese werden von fleißigen Händen fortgetragen, es wirkt wie ein großes, wohlorganisiertes Ballet.
"Der Baum ist wirklich sehr hoch" stellt Clara fest. "Ja, und niemand weiß, wie hoch genau. Man hat versucht ihn zu vermessen, aber selbst Sir George, der einst zu Besuch bei deiner Großmutter hier weilte - wie du bestimmt weiß (sie sah Clara streng an, wie immer, wenn sie zum Ausdruck bringen wollte, dass sie diese bemerkenswerte Tatsache eigentlich wissen sollte) - hat die Aufgabe der Höhenbestimmung hier als undurchführbar bezeichnet. Deine Großmutter war wirklich eine bemerkenswerte Frau..."
Sie schwieg für eine Zeit, in Erinnerungen befangen. Es dauerte etwas, bis Clara sich traute, die nächste Frage zu stellen, ohne allzu vorlaut zu wirken. "Und in jeder Astgabel übereinander sitzt je eins von den Kindern aus dem Dorf, die die Früchte pflücken und weiterreichen?" "Ja sicher. Wie du weißt - die süßesten Früchte wachsen am weitesten oben". Und der Verwalter fügte etwas geheimnisvoll hinzu - "und niemand weiß, wie viele Kinder im Baum sind, es sind alle eingeladen, aus der ganzen Grafschaft, und die ersten sind schon vor Tagen hier eingetroffen und in den Baum hinaufgeklettert..."
Clara wollte schon anmerken, dass es vielleicht gar nicht so einfach ist, so weit hinaufzuklettern, und erinnerte sich an den Haushalt ihres sparsamen Onkels, in dem die Küchenmädchen bei der Hausarbeit singen mussten, damit nichts heimlich in unberufenem Mund verschwand. Aber der Verwalter kam ihr zuvor - "sie dürfen selber Birnen essen, soviel sie mögen, aber nichts in ihre Taschen stecken - sie gehen dafür so satt nach Hause, dass sie wochenlang nichts mehr essen müssen. Das muss genügen als Lohn, früher gaben wir jedem einen Taler mit, aber... so viele Taler..."
Wieder herrschte Schweigen und Clara beobachtete, dass sich eine Art Arbeitstakt eingestellt hatte. Jedes Kind bekam entweder von oben eine Birne angereicht, oder versuchte, von seinem Platz aus eine Birne zu pflücken. Das schien irgendwie Glückssache zu sein. Dann schob es sich die Birne, die es in der Hand hatte, in den Mund und begann begeistert zu kauen. "Nun, und wenn es schon kaut, und noch eine Birne bekommen hat, dann gibt es sie weiter..." sagte sie träumerisch.
Das war für ihre Tante das Stichwort. "Heute nachmittag gibt es frischen Birnenkuchen mit Schlagsahne, der erste Korb wurde schon zur Köchin ans Backhaus getragen. Wenn du etwa auch Sahne auf den Kuchen möchtest, könntest du eine Rätselfrage beantworten? Du weißt ja, sonst gilt die Regel wie immer - "gestern Sahne und morgen Sahne, aber heute...." Clara kannte die Regel nur zu gut. Sie begann zu grübeln und stellte dann doch noch eine Frage. Nein zwei in einer. "Die Kinder brauchen wie lange um eine Birne zu kauen? Wie wahrscheinlich ist es denn, dass sie beim Versuch, eine zu erlangen, zwischen den Blättern grad eine finden?" Sie schaute so verzweifelt und zerknirscht aus, wie sie nur konnte, um noch ein paar Hinweise zu erlangen.
Ihre Tante sah fragend den Verwalter an, der eine goldene Taschenuhr mit Sekundenzeiger zückte und stolz erklärte "ich habe das alles untersucht. Aus irgendwelchen Gründen, die mir wohl immer ein Rätsel bleiben werden, geschieht jedes gleichzeitig und genau innerhalb von 10 Sekunden, eine Birne annehmen, oder eine Birne zu pflücken versuchen, und auch eine Birne weiterreichen oder eine Birne in den Mund stecken. Sie brauchen eine Minute, um sie zu kauen, denn sie arbeiten ja immer weiter auch wenn sie gerade am Kauen sind... Natürlich darf man keine Birnen behalten oder gar sich den Mund vollstopfen, bevor man ausgekaut hat. Darauf achte ich besonders. (Clara fragte sich, wie er darauf achten wollte, ohne weiter hinaufzuklettern, was sie für unwahrscheinlich hielt). So fuhr er fort "aber was die Wahrscheinlichkeit betrifft..."Hier fiel ihm ihre Tante ins Wort, mit Bestimmtheit erklärte sie "Du kannst davon ausgehen, dass diese Wahrscheinlichkeit genau 1/6 ist. Und nun, Fräulein Siebenschlau...."
Clara wagte nicht, nun noch zu fragen, wie hoch der Baum denn nun wirklich sei, irgendwo musste da ein Trick sein, und in ihren Gedanken kreiselte es.... "Wenn der Baum nun wirklich über alle Maßen hoch ist..." "Ja?" fragte ihre Tante zurück - "ich glaube, du hast es..." Was mag Clara geantwortet haben? Und damit verbunden - bekam sie Sahne auf den wirklich leckeren, saftigen Birnenkuchen gereicht? Aber das ist natürlich eine andere Frage und führt schon in einen ganz andere Geschichte hinüber, die ein andermal erzählt werden soll.
\showoff
Viel Spaß beim Knobeln - Rückmeldungen und Gedanken aller Art gerne hier im Thread offen oder im Hide Bereich -
Glück Auf!
Gerhard/Gonz
Nachträge
[1] Die natürlich keine Phantasiewelt ist, sondern eine sehr scharfsinnige Analyse der Realwelt vor uns ausbreitet - aber auch das ist ein anderes Thema.
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gonz
Senior  Dabei seit: 16.02.2013 Mitteilungen: 4955
Wohnort: Harz
 | Beitrag No.1, vom Themenstarter, eingetragen 2023-10-02
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Guten Morgen :)
Mir wurden zwei Antworten zugespielt, deren Autorinnen erst einmal anonym bleiben können. Eine beinhaltet eine Programmausgabe, die zeigt, wie man die Aufgabenstellung verstehen kann (es ist ja Bestandteil des Spaßes, dass weder die eigentliche Frage genannt wird, noch genauer beschrieben wird, was wie passiert). Von meiner Nixe stammt übrigens die Anmerkung, man solle sich hier an die alte Regel der Kap Hoorniers halten (schreibt man die so?) - eine Hand für mich und eine Hand fürs Schiff (in den Wanten anzuwenden).
Zum einen und alles aufklärend genial: Clara bekommt Schlagsahne. Weil sie sich mit Mathematik und Birnenbäumen auskennt. So einfach ist das.
Und dann: Die sich ergebende Rate, mit der die Birnen in die Körbe unten gelangen, beträgt etwas über 1 Frucht/Minute. [1] Dazu bekam ich folgende Programmausgabe:
\showon
\sourceon Ascii
Ribbeck Vers 1.01 für 3 Astgabeln
Takt 1
[3] pflückt eine Birne
[3] steckt eine Birne in den Mund
Clara notiert: 0 aus 1 bei 0.0 Birnen/Minute
Takt 2
[3] kaut noch: 5 verbleiben
Clara notiert: 0 aus 2 bei 0.0 Birnen/Minute
Takt 3
[3] kaut noch: 4 verbleiben
Clara notiert: 0 aus 3 bei 0.0 Birnen/Minute
Takt 4
[3] kaut noch: 3 verbleiben
Clara notiert: 0 aus 4 bei 0.0 Birnen/Minute
Takt 5
[2] pflückt eine Birne
[2] steckt eine Birne in den Mund
[3] kaut noch: 2 verbleiben
Clara notiert: 0 aus 5 bei 0.0 Birnen/Minute
Takt 6
[1] pflückt eine Birne
[1] steckt eine Birne in den Mund
[2] pflückt eine Birne
[2] kaut noch: 5 verbleiben
[2] gibt eine Birne weiter
[3] nimmt Birne von oben an
[3] kaut noch: 1 verbleiben
[3] gibt eine Birne weiter
Clara notiert: 1 aus 6 bei 1.0 Birnen/Minute
\sourceoff
\showoff
Einen schönen (Brücken-) Montag euch allen!
Denkt and das Zicklein.
Gerhard/Gonz
Nachtrag:
[1] Stand jetzt würde ich eher auf 1.8 / Minute sprich 0.3 pro Takt tippen, das bekam ich jedenfalls auch von berufener Seite als aktuelle Schätzung/Erkenntnis mitgeteilt.
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AnnaKath
Senior  Dabei seit: 18.12.2006 Mitteilungen: 3859
Wohnort: hier und dort (s. Beruf)
 | Beitrag No.2, eingetragen 2023-10-02
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\(\begingroup\)\(\newcommand{\C}{\mathbb{C}}
\newcommand{\E}{\mathbb{E}}
\newcommand{\N}{\mathbb{N}}
\newcommand{\R}{\mathbb{R}}
\newcommand{\Z}{\mathbb{Z}}
\newcommand{\i}{\mathrm{i}}
\newcommand{\d}{\mathrm{d}} \)
Huhu zusammen,
sofern ich alles richtig verstanden (und mich nicht verrechnet) habe, ist die sich schliesslich einstellende "Auswurfrate" an Birnen $1- \log 2$.
1.) Meine Interpretation der Birnenernte:
Die Ernte beginnt mit nicht kauenden Kindern ohne herabgereichte Birnen auf jeder Ebene des unendlich hohen Baumes.
Ein Kind im Baum besitzt zu Beginn jedes Taktes einen Zustand $(b,k)$ und geht in einen Zustand $b', k')$ über. $b\in {0,1}$ zeigt an, ob eine Birne herangereicht wird ($1$) oder nicht ($0$). $k\in \{0, \ldots, 6\}$ gibt den "kauend"-Zustand an ($k=0$ nicht kauend, $k>0$ bedeutet, dass das Kind noch $K$ Zyklen "kaut"). $k'$ ist dann der neue "Kauend"-Zustand, $b'$ gibt an,. ob das Kind eine Birne verabreicht (1) oder nicht (0).
Man beachte, dass $b$ bzw. $b'$ vom "Überkind" abhängig sind bzw. für das "Unterkind" relevant sind.
Ausserdem ist die "Ernterate" gerade die Häufigkeit von $b'=1$ für das unterste Kind.
Die "Übergangsmatrix" ist wie in folgender Excel-Tabelle angedeutet:
https://matheplanet.de/matheplanet/nuke/html/uploads/c/22219_Bildschirmfoto_2023-10-02_um_19.26.38.png
Der Klarheit halber dies auch als Code:
\sourceon C#
static (bool below, int k2) SingleStep(bool above, int k)
{
var b = above || (Random.Next(6) == 0);
var k2 = k > 0 ? k - 1 : (b ? 6 : 0);
return (b && (k > 0), k2);
}
\sourceoff
2.) Die Idee zur Berechnung:
Der Erntetag ist endlich und hat somit nur endlich viele Zyklen. Somit hat der Gesamtprozess des Baums gar nicht genug Zeit, dass sich Zustände der Kinder auf verschiedenen Ebenen beeinflussen (mit Ausnahme einer gewissen "Nachbarschaft"). Wenn man das etwas formalisiert, kann man sich leicht überlegen, dass man mit den oben angegebenen Bezeichnungen, die (langfristigen) Verteilungen von $b$ und $b'$ als gleich annehmen kann.
Mit diesen Überlegungen ergibt sich für jedes Kind ein unabhängiger, jeweils aber gleichartiger Markovprozess.
Die Berechnung der stationären Verteilung ergibt das o.a. Ergebnis.
Sollte der Baum aus irgendeinem unwichtigen, gar "praktischem" Grund nur endlich hoch sein, so kann man das Argument so nicht führen. Alles ist komplizierter, man muss noch mehr Unsinn schreiben - aber bereits ab moderaten Höhen (ca. $50$) ändert sich (auf drei Nachkommastellen genau) nichts am Ergebnis.
3. Eine Simulation
Um den "Einschwingprozess" zu studieren habe ich die Ernte einmal simuliert. Bereits nach ca 50 Zyklen (also ca. 10 Minuten) sind die relevanten Verteilungen sehr stabil. Beispielsweise ergibt eine Simulation nach 200 Schritte und mit 10 Mio. "Kindern" die folgenden Werte (k=0,...6 und jeweils b=1,0 => "Droprate"):
\sourceon output
0,077; 0,232; 0,069; 0,046; 0,060; 0,056; 0,048; 0,067; 0,035; 0,080; 0,019; 0,096; 0,000; 0,115; => 0,308
\sourceoff
Dies ist schon recht nahe an der "wahren" stationären Verteilung.
lg, AK\(\endgroup\)
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Senior  Dabei seit: 16.02.2013 Mitteilungen: 4955
Wohnort: Harz
 | Beitrag No.3, vom Themenstarter, eingetragen 2023-10-03
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Ich bekam heute morgen von Nora folgende Kurzinfo
"Clara notiert: 305235 aus 1000000 Droprate 0.3052"
Das passt gut. Damit - falls wir Anerkennungsbändchen vergeben wollen - lege ich (hoffentlich nicht voreilig) für AK und für Nora je eines bereit.
Weiterhin strittig ist die Beantwortung der _eigentlichen_ Frage.
Nora (die aber ja nicht Alice ist) behauptet weiter, dass Clara _niemals_ Sahne bekommen wird, egal was sie macht. Aber aus der Erörterung dieser Frage werde ich mich dann mal (weise?) zurückhalten.
Grüße und einen schönen Feiertag
Gerhard/Gonz
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gonz hat die Antworten auf ihre/seine Frage gesehen. |
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