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Mathematik » Didaktik der Mathematik » Frontalvorlesung + Übung - der ideale Weg zur Mathematik?
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Universität/Hochschule Frontalvorlesung + Übung - der ideale Weg zur Mathematik?
haerter
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  Themenstart: 2015-06-16

Hallo zusammen, die Diskussion über "Pädagogische Fahigkeiten bei Professoren" veranlasst mich, hier mal ein Thema anzusprechen, das mich schon seit längerem beschäftigt, bei dem ich aber selbst dennoch keinen klaren Standpunkt habe. In den letzten Jahren hat sich an den Universitäten eine ganze Menge getan mit dem Ziel, die Qualität der Lehre zu verbessern. Stichworte sind zum Beispiel: Kompetenzorientierung, forschendes Lernen, Just in Time Teaching JiTT, Inverted Classroom, eLearning, Blended Learning, Portfolios, aktivierende Lehrformen,... Mein Eindruck ist, dass von diesen Dingen in der Mathematik nur sehr wenig ankommt, allenfalls in den Übungen finden Veränderungen statt. Nun gibt es den Standpunkt, dass dies daran liegt, dass die Lehre in der Mathematik bereits optimal ist, dass es nichts besseres gibt, als die Inhalte von einem Experten bestens aufbereitet erzählt zu bekommen und sich dann in den Übungen und alleine solange damit zu beschäftigen, bis man alles verstanden und verinnerlicht hat. Medien, Hokuspokus, etc. lenken von der eigentlichen Sache nur ab und verschlechtern die Vorlesung. Eigentlich erstaunlich, wenn man sieht, was an Schulen so gemacht wird. Die Gegenposition behauptet, dass nur ein extrem kleiner Anteil der Studierenden den Ausführungen der Dozenten über 90 Minuten aktiv folgen und dass der überwiegende Anteil nur das Tafelbild (eventuell noch kommentiert) in seine Notizen überträgt. Schon allein die Abbrecherquote in Mathematik deutet für die Anhänger dieser Position darauf hin, dass die aktuelle Lehrmethode Frontalvorlesung + Übung gar nicht optimal sein kann. Alternativvorschläge wie die inhaltlichen Ziele anders zu erreichen wären, sind allerdings auch dünn gesät. Ich habe kürzlich einen Artikel von Prof.Hilgert aus Paderborn gelesen, der über Erfahrungen mit einer "tutoriellen Vorlesung" berichtet, aber ansonsten ist mir aus Deutschland nichts bekannt. Meine Fragen, um bei diesem Thema etwas weiterzukommen: - Wie sehen aktuelle Studierende diese Problematik? Ist es überhaupt ein Problem? - Wer kennt Beispiele abweichender Lehrformen an Universitäten oder hat selbst etwas in dieser Richtung erlebt? - Wer hat selbst Ideen, wie man Vorlesungen lernförderlicher gestalten könnte? Viele Grüße, haerter


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Buri
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  Beitrag No.1, eingetragen 2015-06-16

\quoteon(2015-06-16 18:54 - haerter im Themenstart) - Wer hat selbst Ideen, wie man Vorlesungen lernförderlicher gestalten könnte? \quoteoff Hi haerter, die Steigerung des Wortes "lernförderlich" ist nicht nötig. Es geht nicht darum, es besser (also "lernförderlicher") zu machen, sondern überhaupt richtig (also "lernförderlich"), das reicht doch. Meine Ideen zur Gestaltung sind diese: - Der Beweis grundlegender Sätze gehört in die Vorlesung. Es hat wenig Sinn, den Satz von Hahn-Banach als Übungsaufgabe zu stellen. - Der Student wird den gebotenen Inhalt eher mögen, wenn er Näheres über die Geschichte der Problematik erfährt, dabei werden natürlich die Namen unserer mathematischen Vorfahren genannt, und manche Professoren sind bestrebt, dies zu vermeiden und tun so, als hätten sie die Sätze selbst erfunden, damit die Studenten durch Suche im Netz nicht feststellen können, was wirklich los ist. - Beim Übungsbetrieb muss man darauf achten, dass der Übungsleiter keineswegs als unfehlbarer Meister gelten darf, sondern wenn er seinen Studenten Gutes tun will, muss er sie dazu auffordern, ihre eigenen Überlegungen selbst zu kontrollieren, und die oft vorkommende Frage "ist das so richtig?" somit zuerst an sich selbst zu richten. Man lernt, wenn man das immer wieder tut, und wenn nicht, bleibt man abhängig von anderen Personen, die man für klüger hält, und gibt sich keine Mühe, diese klügeren Leute schließlich einzuholen. Gruß Buri


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darkhelmet
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  Beitrag No.2, eingetragen 2015-06-17

Bei Standardvorlesungen gibt es unzählige Lehrbücher und - für den akkustischen Lerntyp - seit kurzem auch Videos von (sehr guten) Vorlesungen, deren didaktisches Niveau die Mehrzahl der Dozenten in einer selbstgemachten Vorlesung nicht erreichen wird. Deshalb könnte man m.E. die Vorlesung komplett streichen und statt dessen jede Woche z.B. ein Buchkapitel zum Selbststudium aufgeben und die Tutorien und Übungsblätter darauf abstimmen. Der Professor muss dann nur noch die grobe Richtung vorgeben und für evtl. auftretende komplizierte Fragen ansprechbar sein. Die dadurch freiwerdende Kohle würde ich in zusätzliche Tutorien stecken. In den (somit kleineren) Tutorien könnte der Schwerpunkt mehr in Richtung freie Fragestunde gehen. Das kann man auch gut mit dem bisherigen unterstützten Aufgabenrechnen verbinden. Das Anschreiben von Lösungen, die man genau so gut online hätte veröffentlichen können, soll nicht Teil des Tutoriums sein. Eine große Hörsaalübung braucht es auch nicht.


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KidinK
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  Beitrag No.3, eingetragen 2015-06-17

\quoteon(2015-06-16 18:54 - haerter im Themenstart) Nun gibt es den Standpunkt, dass dies daran liegt, dass die Lehre in der Mathematik bereits optimal ist, dass es nichts besseres gibt, als die Inhalte von einem Experten bestens aufbereitet erzählt zu bekommen und sich dann in den Übungen und alleine solange damit zu beschäftigen, bis man alles verstanden und verinnerlicht hat. Medien, Hokuspokus, etc. lenken von der eigentlichen Sache nur ab und verschlechtern die Vorlesung. Eigentlich erstaunlich, wenn man sieht, was an Schulen so gemacht wird. \quoteoff Ich würde mich dieser Seite anschließen. Fast. Nicht die Lehre ist optimal, aber mit den Lehrmethoden bin ich ziemlich zufrieden. Sie sind ja auch lange bewährt. Man könnte natürlich denken, sie seien deswegen veraltet, aber nicht alles, was alt ist, ist auch veraltet. Liebe Grüße, KidinK


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Mathedonut
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  Beitrag No.4, eingetragen 2015-06-17

\quoteon(2015-06-17 00:42 - darkhelmet in Beitrag No. 2) Deshalb könnte man m.E. die Vorlesung komplett streichen und statt dessen jede Woche z.B. ein Buchkapitel zum Selbststudium aufgeben und die Tutorien und Übungsblätter darauf abstimmen. \quoteoff Da möchte ich stark widersprechen. Eine Vorlesung besteht nicht nur aus dem präsentierten Inhalt, sondern hat ein Eigenleben, das sehr zum Lernprozess beiträgt. Der Dozent kann die Themenwahl auf seine Vorlieben oder die Voraussetzungen der Hörer abstimmen. Selbst eine standardmäßige Analysis-1-Vorlesung hat potentiell so viele Gestaltungsmöglichkeiten, dass die Vorlesung keinem Buch gleichen muss. Weiterhin lebt eine Vorlesung und zwar gerade in den Anfängervorlesungen vom Austausch. Der Dozent kann Fragen stellen, die Studierenden können zum langsameren Schreiben anregen, zu Unklarheiten nachfragen und am wichtigsten: Unter den Studenten entsteht ein produktives Lernmilieu. Alle hören den gleichen Inhalt, die gleichen Worte und können sich unter einander austauschen, in der Pause den Dozenten ansprechen, sich gegenseitig von Schreibfehlern, Logikfehlern u.ä. überzeugen. Bei einem perfekt poliertem Lehrbuch oder einen aufgenommen Videovorlesung geht das alles verloren.


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haerter
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  Beitrag No.5, vom Themenstarter, eingetragen 2015-06-17

Hallo, zunächst mal vielen Dank für die interessanten Standpunkte. @buri: Danke für den Hinweis auf die historischen Zusammenhänge. Mich hat das persönlich nie besonders interessiert, aber ich glaube schon, dass es genug Studenten gibt, die das spannend finden. Außerdem hilft es manchmal vermutlich, nicht nur das polierte, fertige mathematische Endprodukt zu sehen, sondern auch zu verstehen, warum man gewisse Dinge untersucht oder auf eine bestimmte Weise definiert. @darkhelmet: Die Möglichkeit, die Vorlesung durch Selbststudium und Tutorien zu ersetzen gibt es im Prinzip durch gute Lehrbücher ja schon seit Jahrzehnten, es wurde aber meines Wissens nirgends so gemacht, erst durch Videos und Dinge wie Inverted Classroom oder Just in Time Teaching ist das auf die didaktische Tagesordnung gekommen. Ich habe da den Verdacht, dass es eben möglicherweise (in der Breite) nicht funktioniert, die entsprechenden Buchkapitel zum Selbststudium aufzugeben (u.a. vielleicht, weil das von Mathedonut beschrieben "Lernmilieu" fehlt), aber ich könnte mir vorstellen, dass es ein "Zwischending" zwischen Selbststudium und Frontalvorlesung geben könnte, das zu einer regelmäßigen und einigermaßen erfolgreichen Beschäftigung mit den Themen führt. Nur wie das genau aussehen könnte, davon habe ich nur eine vage Vorstellung. Praktisch kommt da noch das Problem dazu, dass Professoren ihre Lehrverpflichtung irgendwie erfüllen müssen und die Abrechnung ausschließlich über Semesterwochenstunden erfolgt, d.h. ein Prof müsste bei einer Veranstaltung ohne Vorlesung ja immer noch den Rahmen vorgeben, für Fragen zur Verfügung stehen, ggf. Aufgaben machen und am Ende Prüfungen abnehmen, ohne dafür Stunden angerechnet zu bekommen. \quoteon(2015-06-17 08:33 - Mathedonut in Beitrag No. 4) Weiterhin lebt eine Vorlesung und zwar gerade in den Anfängervorlesungen vom Austausch. Der Dozent kann Fragen stellen, die Studierenden können zum langsameren Schreiben anregen, zu Unklarheiten nachfragen und am wichtigsten: Unter den Studenten entsteht ein produktives Lernmilieu. Alle hören den gleichen Inhalt, die gleichen Worte und können sich unter einander austauschen, in der Pause den Dozenten ansprechen, sich gegenseitig von Schreibfehlern, Logikfehlern u.ä. überzeugen. \quoteoff Ist das denn die Realität oder eher ein Wunschtraum? Konkret: Wer erlebt in Vorlesungen(!), dass Dozenten in größerem Umfang Fragen stellen, über die man wirklich live nachdenken muss? Ich habe mir vor einiger Zeit mal bei Youtube und bei verschiedenen Hochschulen Vorlesungsaufzeichnungen angesehen und ich schätze, dass von den dort aufgezeichneten Mathe-Veranstaltungen mindestens 95% in einem leeren Hörsaal ohne Studierende genau gleich abgelaufen wären, d.h. es gab keine Zwischenfragen, weder von Dozent noch von den Teilnehmern und auch keine Diskussion. Ich bin gespannt auf weitere Meinungen, haerter


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Mathedonut
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  Beitrag No.6, eingetragen 2015-06-17

\quoteon(2015-06-17 09:41 - haerter in Beitrag No. 5) Ist das denn die Realität oder eher ein Wunschtraum? \quoteoff Das ist die Realität, die ich als Student und auch als Dozent größtenteils erlebt habe. Falls die Veranstaltung keinen Austausch und keine Fragen zulässt, und zu einem reinen "Vortrag ohne Publikum" hinausläuft, dann muss man diese verbessern. Auf der Studierendenseite muss man sich im Klaren sein und sich motivieren, Fragen zu stellen oder andere Rückmeldungen zu geben. Auf der Dozentenseite muss man sich bewusst sein, dass man die Veranstaltung für sein jeweiliges Publikum hält. Wenn die Zuhörer komplett abgehängt werden, ergibt es ja keinen Sinn, sein Programm für die nächste Stunde genauso schnell durchziehen zu wollen. Ich habe in meiner Studienzeit auch schon "schlechte" Dozenten erlebt, aber diese konnte man durch gezielte Nachfragen auch zu mehr Interaktion bewegen. Die Sache ist nun mal zweiseitig: Wenn die Studenten keine Fragen stellen, dann muss der Dozent mehr Interaktion hineinbringen und Fragen stellen. Und wenn der Dozent sein Publikum nicht beachtet, dann müssen von dort mehr Fragen kommen. Das wäre nun der Wunschtraum.


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traveller
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  Beitrag No.7, eingetragen 2015-06-17

\quoteon(2015-06-17 00:49 - KidinK in Beitrag No. 3) Nicht die Lehre ist optimal, aber mit den Lehrmethoden bin ich ziemlich zufrieden. Sie sind ja auch lange bewährt. \quoteoff Inwiefern kann eine Lehrmethode, welche zu einer Abbrecherquote von 80% (!) führt, als bewährt gelten? [Die Antwort wurde nach Beitrag No.5 begonnen.]


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xiao_shi_tou_
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  Beitrag No.8, eingetragen 2015-06-17

\quoteon(2015-06-16 18:54 - haerter im Themenstart) ..., dass es nichts besseres gibt, als die Inhalte von einem Experten bestens aufbereitet erzählt zu bekommen \quoteoff Ich finde der Experte sollte, soweit es moeglich ist, die Ideen erklaeren und unbedingt durch viele Beispiele motivieren. "Warum" man eine Definition so und nicht anders formuliert etc. sollte durch Beispiele/Erklaerungen motiviert werden. Das kommt moeglicherweise zu kurz. Dennoch finde ich die Strategie "moeglichst viele Inhalte rueberbringen" zu wollen sehr vernuenftig, denn angesichts der ueberwaeltigenden Informationsmenge die ein "Mathestudent der Gegenwart" in kuerzester Zeit absorbieren muss scheint das noetig zu sein. Bevor man diese altbewaehrte Strategie an den Galgen haengt sollte man m.E. auch unbedingt einmal das krasse Gegenteil erlebt haben: "Der Dozent philosophiert eine ganze Vorlesung ueber unwichtige Details" Das gibt es, vllt. nicht an Deutschen Uni´s, aber ich erlebe es zu oft. Es ist wirklich aetzend wenn triviale Zusammenhaenge zu ausfuehrlich erklaert werden. Deshalb macht das auch kaum ein Dozent (einer Deutschen Uni). Mein Fazit: "Die Methode, die Inhalte moeglichst gut aufzubereiten, und zu erzaehlen, mit dem Ziel moeglichst viel Sroff durchzubekommen, finde ich an sich sehr vernuenftig. Es ist nicht noetig sich zulange mit Erklaerungen von Trivialitaeten abzuhalten, aber wichtige Ideen, die der Student vermutlich nicht sofort selbststaendig einsieht (etwa weil eine gaenzlich neue Methode verwendet wird) oder die evtl. nur mit genuegend Erfahrung ersichtlich sind, sollten m.M. nach unbedingt nicht ausgespart werden, und es kann und soll hier grosszuegiger erklaert werden. Ich hab das Gefuehl, oft bleibt das `Warum?` einfach unbeantwortet." \quoteon Die Gegenposition behauptet, dass nur ein extrem kleiner Anteil der Studierenden den Ausführungen der Dozenten über 90 Minuten aktiv folgen und dass der überwiegende Anteil nur das Tafelbild (eventuell noch kommentiert) in seine Notizen überträgt. \quoteoff Ich glaube das liegt an der ueberwaeltigen Informationsflut die ein Mathestudium beinhaltet. Es ist schwer den Stoff durchzubringen und gleichzeitig verstaendlich zu erklaeren. Ich bin fest davon ueberzeugt, dass das woertliche Abschreiben auch zum Unverstaendnis beitraegt. Ich habe kein fotographisches Gedaechtnis, aber ich habe mehr davon den Ausfuehrungen konzentriert zu folgen, als mich zum fixen abschreiben zu hetzen. Notizen sollten Notizen bleiben (Stichworte notiere ich mir auch), finde ich, und sie sollten nicht zu Manuskripten ausarten, was anscheinend haeufig der Fall ist. \quoteon - Wer kennt Beispiele abweichender Lehrformen an Universitäten oder hat selbst etwas in dieser Richtung erlebt? \quoteoff Ich kenne Beispiele. 1. Wir lernen hier viel in Arbeitsgruppen. Jeder sucht sich ein Thema oder eine Aufgabe aus, bereitet sie vor und traegt sie dann den anderen Gruppenmitgliedern vor. So aehnlich wie bei einem Seminar. Ich bin ueberzeugt, dass das eine sehr gute Methode ist. Einmal kann man neues lernen, zum anderen kann man Gelerntes festigen. 2. Wir haben hier einen Professor der m.E. nach ein paedagogisches Talent ist. Die einfache gut gemeinte Frage: "Hallo, und was lernen Sie zur Zeit? Was interessiert Sie denn persoenlich besonders?" stellt er vielen Studenten, meistens in der 5 Minutenpause. Fragen dieser Art, auch waehrend der Vorlesung, entschaerfen die vorherrschende Einstellung: "Mathematik ist durch eine hoehere Macht gegeben und ist euch Irdischen unverstaendlich. Ich bin lediglich der Vermittler." \quoteon - Wer hat selbst Ideen, wie man Vorlesungen lernförderlicher gestalten könnte? \quoteoff An sich finde ich die Vorlesungen (in DTland) sehr gut. Noch mehr echte Beispiele/Motivation, weniger Formalismus (technical problems), mehr Ideen/Konzepte vermitteln (und erklaeren "Warum?" etwas so ist wie es ist) koennte man evtl. noch verbessern. Ausserdem sollte man mit der Zeit gehen. Die Methoden aendern sich, was frueher ein Buch gefuellt hatte das kann heute kurz und knapp auf den Punkt gebracht werden. Ich finde es verstaendlich, wenn dies gewissen (vor allem aelteren) Dozenten schwerfaellt, aber es bereitet den Studierenden unnoetige Komplikationen. lg Daniel


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Cambrian
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  Beitrag No.9, eingetragen 2015-06-17

Hallo! Zunächst muss ich sagen, dass ich selbst "nur" Informatiker bin und bisher Vorlesungen mit dem Namen "Mathematik für Informatiker gehört habe bzw. höre. Jedoch zähle ich mich selbst zu den Wenigen Vorlesungsteilnehmern, die mit großem Interesse an die Sache herangehen. Meiner Meinung sind diese Vorlesungen ganz ausgezeichnet, was nicht zuletzt an meinem Dozenten liegt. Er bemüht sich sehr darum, die Dinge "nicht vom Himmel fallen zu lassen" und motiviert und begründet darum sehr ausführliche jede zentrale Idee. Ich habe mich oft gefragt, ob meine Mathe für Informatiker Vorlesungen nicht sogar besser sind als die "normalen" LA 1 und Ana 1 Vorlesungen - zumindest kann ich in Skripten zu den beiden Standardvorlesungen nicht annähernd diese tollen Ansätze finden, die ich kennengelernt habe. Zu oft wird der "Baum" in die Breite durchlaufen und nicht in die Tiefe oder aber es geschieht beides parallel, was sehr unsauber sein kann und mit sehr viel Aufwand für den Studenten verbunden ist. Wie oben erwähnt wissen aber nicht all meine Kommilitonen den gebotenen Vorlesungsstil zu schätzen. Einige fühlen sich wohl überfordert, andere sind gelangweilt von ausschweifenden Exkursen und sich ergebende Zusammenhänge. Es ist also durchaus möglich, dass der persönliche Misserfolg im Studium mal nicht auf den Dozenten zu schieben ist. Besonders schade finde ich es, dass teilweise auch intelligente oder Hochbegabte Leute sich selbst ins Aus manövrieren, einfach weil sie faul oder lernunwillig sind. Ich hingegen habe wohl keine besonderen mathematischen Fähigkeiten von der Natur verliehen bekommen, allerdings bindet mich mein Interesse an die Sache und so denke ich, dass ein jeder Interessent der Mathematik auch genug Motivation aufbringen kann, sein Studium weitestgehend positiv zu bewältigen. Zumindest ist dies mein persönliches Wunschdenken. Gruß


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Kitaktus
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  Beitrag No.10, eingetragen 2015-06-17

Meine Erfahrungen aus einem anderen Jahrtausend: Mir war eine reale Vorlesung wichtig. Reale Vortragende und reale Zuhörer die interagieren können. Studenten die zusammenkommen und die gleiche Vorlesung hören, die danach zusammen essen gehen, über den Inhalt sprechen, sich bei Übungsaufgaben helfen, kurzum _zusammen_ studieren. Den Übungsleiter, Dozenten oder Professor möchte ich da einschließen. Wenn ich morgens um sieben im Schneeregen zur Uni gefahren bin, während andere sich im Bett nochmal umdrehten, dann auch im Bewußtsein, dass es dem Professor genauso geht. Das nicht nur ich etwas lernen, sondern er auch etwas lehren will. Ich selbst habe sie nicht mehr erlebt, aber in den Erzählungen meiner älteren Bekannten und Verwandten taucht sie noch auf, die "Seminargruppe". Das Gegenstück zur Schulklasse an der Universität. Natürlich ist es eine der Stärken der modernen Universität, dass man sich Lern-Inhalte und Lern-Zeiten individuell und ungezwungen zusammenstellen kann, ich habe das auch sehr genossen. Aber von den Studenten, die Ihr Studium nicht beendet haben, waren bei uns überdurchschnittlich viele "Einzelkämpfer". Fehlende Hilfe, fehlende "moralische Unterstützung", fehlende Motivation, fehlender sozialer Rückhalt, fehlendes Verständnis für die Probleme -- das macht oft den Unterschied zwischen Aufgeben oder Weitermachen, ganz unabhängig vom didaktischen Konzept des Dozenten. Gäbe es nur ein Video auf dem Netz oder ein Buch zum Lesen, wie viele Studenten fänden sich dann zum gemeinsamen Studium zusammen? Ich kann gut verstehen, das solche Konzepte einen wichtigen Beitrag liefern, für die, die ortsgebunden sind, sich ihre Lernzeiten nicht frei wählen können, oder auf die sozialen Kontakte nicht angewiesen sind. Für die Mehrheit der Studenten wäre ein Studium aus Büchern und Videos aber ein Verlust. Zum Thema "altbewährte Vorlesungsmethode": 200 Menschen in einem Raum, einer davon schreibt vorne an und alle anderen schreiben mit, zwischendurch erzählt der eine und alle anderen schreiben wieder mit. "Bewährt" kann man diese Methode nur nennen, wenn man sich die vorhandenen Beschränkungen als unabänderbar denkt. Selbstverständlich gibt es Methoden, bei denen die Studenten in der gleichen Zeit ein deutlich tieferes Verständnis erreichen könnten, aber die sind dann natürlich nicht kostenneutral. [Die Antwort wurde nach Beitrag No.8 begonnen.]


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haerter
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Hallo Cambrian, "nur" Informatiker würde ich nicht sagen, es gibt genügend Fächer, in denen Mathematik zu Beginn eine wichtige Rolle spielt und in Einzelfällen sogar über den Studienerfolg insgesamt entscheidet. Mir scheint, dass Du einen sehr wichtigen Punkt ins Spiel gebracht hast, den ich oben nirgends erwähnt habe: die MOTIVATION. Ich glaube, dass Motivation oder der irgendwie verwandte Begriff der Selbstwirksamkeit ein Schlüssel dazu ist, wie gut man im Studium zurechtkommt. Ich glaube auch, dass es so etwas wie intrinsische Motivation gibt und dass einige Studierende soviel Spaß und Interesse an der Sache mitbringen, dass sie praktisch unabhängig von der Lehrmethode erfolgreich lernen werden, aber: sehr viele sind das nicht und ich fürchte, diese Spezies ist hier auf dem Matheplaneten exorbitant überrepräsentiert. Es stellt sich die Frage, ob man durch Lehrmethoden oder sonstige Kniffe für die anderen die Motivation erhöhen kann. Die von einigen angesprochene soziale Einbindung in Lerngruppen, Seminargruppen o.ä. ist da vermutlich ein wichtiger Baustein, aber vielleicht gibt es auch Dinge, die von Seiten der Lehrenden hier positives beitragen können? Viele Grüße, haerter


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Kitaktus
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  Beitrag No.12, eingetragen 2015-06-17

Als motivierend von Seiten des Dozenten habe ich empfunden, wenn er die Studenten als Teil der Wissenschaftsgemeinschaft behandelt. Es gibt Dozenten, die präsentieren nur die auf Hochglanz polierten Ergebnisse von vor fünfzig, hundert oder hundertfünfzig Jahren und geben den Studenten das Gefühl nur ein kleiner Floh zu sein, der das Schaffen der Geistesriesen bestaunen darf. Und es gibt Dozenten, die zeigen, dass Irrwege und Sackgassen natürlicher Bestandteil von Forschung sind, dass auch die ehrwürdigen Altvorderen irgendwann als Studenten angefangen haben und das "Wissenschaftler" keine Weihe ist, die man erst nach vielen Jahrzehnten erhält.


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