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Autor |
Kristallstruktur |
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didubadap
Senior  Dabei seit: 07.08.2014 Mitteilungen: 513
 | Themenstart: 2016-04-04
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Hallo zusammen,
ich habe leider derzeit riesige Verständnisschwierigkeiten mit der Beschreibung der Kristallstruktur. Es scheint, die Bezeichnungen sind in der Literatur uneinheitlich und in sämtlichen Lehrbüchern wird meinem Eindruck nach nur grob gesagt worum es geht, sowie ein paar Fachbegriffe hingeworfen. Ich hoffe, jemand hier kann mir erklären, was die Begriffe genau bedeuten:
Es geht zunächst um das "Gitter" und die "Basis". So wie ich das verstehe ist ein "Gitter" zunächst eine bestimmte Menge von Punkten im drei- (oder zwei-) dimensionalen Raum. Jeder Punkt eines solchen Gitters soll sich schreiben lassen als $P=ae_1+be_2+ce_3$ wobei $e_1, e_2, e_3$ eine (algebraische) Basis des Raumes bilden und $a,b,c$ ganze Zahlen sind. Die drei Basisvektoren heißen "Gittervektoren" (?) und der von ihnen aufgespannte Spat heißt "Elementarzelle" oder "Einheitszelle". Jetzt gibt es eine klassifikation dieser Punktgitter, nämlich 14 "Bravaisgitter". Diese Klassifikation hat irgendwas mit der Klassifikation der Rotations+Translations-Symmentriegruppen zu tun, aber ich verstehe nicht was genau. Insbesondere scheint es, als sei "die" Elementarzelle eines solchen Punktgitters nicht eindeutig. Manche von diesen Elementarzellen heißen "primitiv". An mancher Stelle steht, die Bedingung dafür sei, dass in der Zelle nur ein Gitterpunkt liegt. Das macht für mich keinen Sinn, denn entweder ist es niemals wahr, oder, wenn man die Zuordnung der Gitterpunkte zwischen weiteren, sozusagen verschobenen Einheitszellen trifft, immer wahr. Anscheinend werden für das Gitter und die Einheitszelle unterschiedliche (algebraische) Basen verwendet?
Man bekommt eine tatsächlichen Kristallstruktur, wenn man an jeden Gitterpunkt eine "Basis" setzt. Ich habe nach eingehender Recherche immernoch keine Ahnung, was das im allgemeinen ist, genauso wie nach welcher Festlegung diese Einsetzung orientiert wird. Man findet zur Festlegung einer solchen Basis eigentlich nur Angaben von Atompositionen innerhalb der Einheitszelle in Bruchteilen der (algebraischen) Basisvektoren. Vielleicht mangelt es mir an Vorstellungskraft, aber ich kann die Skizzen von echten Kristallstrukturen und diesen Angaben der Basis + Gitter nicht in Einklang bringen. Weiterhin ist diese gesamte Diskussion anscheinend sehr uneindeutig, so kann man für einen echten Kristall verschiedene Gitter/Basen zu dessen Beschreibung hernehmen. Trotzdem gibt es Aufgaben der Form "bestimmen Sie das Gitter und die Basis für NaCl" oder Ähnliches, mit anscheinend eindeutigen Lösungen.
Dann gibt es millersche Indizes und das reziproke Gitter, dessen Definition man sich in der Regel zusammenpuzzeln muss aus Fourierreihen-rumgeschubse einer nicht näher erklärten "Streudichte". In 3D gibt es je nach Konvention zwei (um Faktoren von $\pi$ unterschiedliche) Möglichkeiten zu einer gegebenen algebraischen Basis des Gitters die algebraische Basis des reziproken Gitters zu berechnen, das ist eine Formel mit Kreuzprodukt. Dann kommen irgendwelche mir vollkommen rätselhaften Skizzen zur Ewaldkugel und Brillouinzonen, an denen sich klugen Menschen anscheinend sowohl Konstruktionsvorschrift als auch Nutzen sofort erschließt. Am Ende (beispielweise Ibach/Lueth Festkörperphysik) werden dann alle konkreten Verfahren zur Strukturbestimmung, für die man diese ganzen Begriffe eigentlich erfunden hat, auf nur einer Seite beschrieben.
Gegeben einige Brocken homogenen Minerals und etwas, das Röntgenstrahlen einstellbarer Frequenzverteilung erzeugen kann. Was kann man über die Kristallstruktur herausfinden und wie genau? Was sieht man, wenn man zum Beispiel ein Pulver damit beleuchtet? Wie kann man Flecken auf einem Photofilm Millersche Indizes zuordnen und anfangen irgendwelche Kugeln zu malen? Kann mich jemand dazu auf Quellen verweisen, die auf extrem vereinfachten Niveau die Experimente beschreiben?
Vielen Dank im Voraus.
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Senior  Dabei seit: 13.11.2003 Mitteilungen: 3299
Wohnort: Hamburg, z.Zt. Hannover
 | Beitrag No.1, eingetragen 2016-04-06
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Moin,
versuchen wir mal ein wenig Licht ins Dunkel zu bringen.
\quoteon(2016-04-04 20:25 - didubadap im Themenstart)
Es geht zunächst um das "Gitter" und die "Basis". So wie ich das verstehe ist ein "Gitter" zunächst eine bestimmte Menge von Punkten im drei- (oder zwei-) dimensionalen Raum. Jeder Punkt eines solchen Gitters soll sich schreiben lassen als $P=ae_1+be_2+ce_3$ wobei $e_1, e_2, e_3$ eine (algebraische) Basis des Raumes bilden und $a,b,c$ ganze Zahlen sind.
\quoteoff
Soweit so richtig. Wobei man häufig noch betont, dass diese Gittervektoren primitiv sind.
\quoteon(2016-04-04 20:25 - didubadap im Themenstart)
Die drei Basisvektoren heißen "Gittervektoren" (?) und der von ihnen aufgespannte Spat heißt "Elementarzelle" oder "Einheitszelle".
\quoteoff
Die Vektoren nennt man (primitive) Gittervektoren, da sie die einfachste Art der Beschreibung des Gitters. Bewegt man sich entlang ihrer Wege von einem Gitterpunkt zum nächsten, dann sieht das Gitter an beiden Punkten identisch aus. Dies gilt in dieser einfachen Form im Modell der Bravais-Gitter, auf das ich gleich eingehen werde.
Bei den Zellen werden leider einige Bezeichnungen synonym verwendet. Als primitive oder Elementarzellen bezeichnet man die Zellen, die durch das Parallelepiped von $e_1$, $e_2$ und $e_3$ aufgespannt werden. Sie stellen auch gewissermaßen die kleinste mögliche Zelle dar. Verschiebt man das Volumen der Elementarzelle um den Translationsvektor $T = n_1 e_1 + n_2 e_2 + n_3 e_3$ mit $n_i \in \mathbb{Z}$, so füllt man den ganzen Raum aus.
Unter nicht-primitiven, Einheits- oder konventionellen Zelle (alle synonym) versteht man in der Regel Zellen, die größer als primitive Zellen sind und mit denen man mit einer Teilmenge der möglichen Translationsvektoren bereits den ganzen Raum lückenlos füllen kann. Meinem Empfinden nach wird, man eher über Einheitszellen als über Elementarzellen sprechen. Die Längen, die die Einheitszellen beschreiben nennt man dann übrigens Gitterkonstanten.
\quoteon(2016-04-04 20:25 - didubadap im Themenstart)
Jetzt gibt es eine klassifikation dieser Punktgitter, nämlich 14 "Bravaisgitter". Diese Klassifikation hat irgendwas mit der Klassifikation der Rotations+Translations-Symmentriegruppen zu tun, aber ich verstehe nicht was genau.
\quoteoff
Mit Rotationssymmetrie haben die Bravais-Gitter nichts zu tun. Die einzige bei den Bravais-Gitter berücksichtigte Symmetrieeigenschaft ist die der Translation. Berücksichtigt man noch Drehsymmetrie und Spiegelsymmetrie, so kommt man auf 230 unterschiedliche Raumgruppen. Man könnte jetzt mit unzähligen Informationen aus der Kristallographie um sich werfen. Hier macht es aber mehr Sinn zu verstehen, was für Eigenschaften es alles gibt, welche Klassifizierungen es gibt und dann genauer nach Informationen zu suchen, wenn eine konkrete Fragestellung vorliegt.
\quoteon(2016-04-04 20:25 - didubadap im Themenstart)
Insbesondere scheint es, als sei "die" Elementarzelle eines solchen Punktgitters nicht eindeutig.
\quoteoff
Ist sie auch nicht. Im Internet finde ich aber gerade kein schönes Bild, das dies passend illustriert.
\quoteon(2016-04-04 20:25 - didubadap im Themenstart)
An mancher Stelle steht, die Bedingung dafür sei, dass in der Zelle nur ein Gitterpunkt liegt. Das macht für mich keinen Sinn, denn entweder ist es niemals wahr, oder, wenn man die Zuordnung der Gitterpunkte zwischen weiteren, sozusagen verschobenen Einheitszellen trifft, immer wahr. Anscheinend werden für das Gitter und die Einheitszelle unterschiedliche (algebraische) Basen verwendet?
\quoteoff
Wie meinst du das und evtl. nennst du kurz noch die Stelle und Quelle, wo das steht.
\quoteon(2016-04-04 20:25 - didubadap im Themenstart)
Man bekommt eine tatsächlichen Kristallstruktur, wenn man an jeden Gitterpunkt eine "Basis" setzt. Ich habe nach eingehender Recherche immernoch keine Ahnung, was das im allgemeinen ist, genauso wie nach welcher Festlegung diese Einsetzung orientiert wird. Man findet zur Festlegung einer solchen Basis eigentlich nur Angaben von Atompositionen innerhalb der Einheitszelle in Bruchteilen der (algebraischen) Basisvektoren. Vielleicht mangelt es mir an Vorstellungskraft, aber ich kann die Skizzen von echten Kristallstrukturen und diesen Angaben der Basis + Gitter nicht in Einklang bringen. Weiterhin ist diese gesamte Diskussion anscheinend sehr uneindeutig, so kann man für einen echten Kristall verschiedene Gitter/Basen zu dessen Beschreibung hernehmen. Trotzdem gibt es Aufgaben der Form "bestimmen Sie das Gitter und die Basis für NaCl" oder Ähnliches, mit anscheinend eindeutigen Lösungen.
\quoteoff
Kannst du ein Beispiel für die Uneindeutigkeit geben?
Als Beispiel für einen Kristall nehmen wir mal Silizium, den Halbleiter schlechthin. Er kristallisiert in der Diamantstruktur. Diese entsteht aus der Kombination eines kubisch-flächenzentrierten Bravais-Gitters und einer Basis mit zwei Si-Atomen. Wenn das eine Atom im Punkt a*(0,0,0) liegt, dann liegt das zweite Atom bei a*(1/4,1/4,1/4), mit der Gitterkonstante a. Dies "Hantel" pinnst du jetzt einfach an jeden Gitterpunkt des kubisch-flächenzentrierten Bravais-Gitters. Für die den Gitterpunkt in der Mitte der vorderen Fläche wäre das eine Atom also bei a*(1/2, 1/2,0) (die z-Achse sticht in die Bildebene) und das zweite bei a*(3/4,3/4,1/4). Und so weiter... Aber ja, es gehört ein gewisses Maß an Vorstellungsvermögen dazu. Das muss man selber mitbringen.
\quoteon(2016-04-04 20:25 - didubadap im Themenstart)
Dann gibt es millersche Indizes und das reziproke Gitter, dessen Definition man sich in der Regel zusammenpuzzeln muss aus Fourierreihen-rumgeschubse einer nicht näher erklärten "Streudichte". In 3D gibt es je nach Konvention zwei (um Faktoren von $\pi$ unterschiedliche) Möglichkeiten zu einer gegebenen algebraischen Basis des Gitters die algebraische Basis des reziproken Gitters zu berechnen, das ist eine Formel mit Kreuzprodukt. Dann kommen irgendwelche mir vollkommen rätselhaften Skizzen zur Ewaldkugel und Brillouinzonen, an denen sich klugen Menschen anscheinend sowohl Konstruktionsvorschrift als auch Nutzen sofort erschließt. Am Ende (beispielweise Ibach/Lueth Festkörperphysik) werden dann alle konkreten Verfahren zur Strukturbestimmung, für die man diese ganzen Begriffe eigentlich erfunden hat, auf nur einer Seite beschrieben.
\quoteoff
Hier klingt jetzt mehr Frust über deine Quelle als wirklich eine konstruktive und konkrete Frage hinter. Überleg dir einmal, was du genau wissen willst und versuch es dann noch einmal.
\quoteon(2016-04-04 20:25 - didubadap im Themenstart)
Gegeben einige Brocken homogenen Minerals und etwas, das Röntgenstrahlen einstellbarer Frequenzverteilung erzeugen kann. Was kann man über die Kristallstruktur herausfinden und wie genau?
\quoteoff
Ein Kristall lebt von seiner periodischen Ordnung. Von der Fourier-Reihe wissen wir, dass die Periodizität in der einen Welt zu diskreten Werten (Punkten) in der anderen Welt führt. Neben der Kristallstruktur kann man also auch Defekte identifizieren. Genau so wird man auch Aussagen über mögliche Zusammensetzungen bzw. über die Atombasis machen können, denn die gemessenen Beugungsmuster, die bei Volumenkristallen Punkte in der Projektionsebene sind, sind von der Intensität nicht alle gleich. Eine Ursache kann das Streuvermögen der unterschiedlichen Atome in der Basis sein. Die Kristalluntersuchung mittels Röntgenbeugung ist aber eine Wissenschaft für sich und benötigt viel Erfahrung. Das macht man nicht mal eben so. Auch, wenn der Aufbau ein einfaches Verfahren suggeriert. Die Auswertung ist deutlich komplexer.
\quoteon(2016-04-04 20:25 - didubadap im Themenstart)
Was sieht man, wenn man zum Beispiel ein Pulver damit beleuchtet?
\quoteoff
Bei Pulvern ist das Beugungsmuster kresiförmig, da Mikrokistalle die Bragg- bzw. äquivalent die Laue-Bedingung (Beugungswinkel) gleichzeitig für verschiedene Richtungen erfüllen können.
\quoteon(2016-04-04 20:25 - didubadap im Themenstart)
Wie kann man Flecken auf einem Photofilm Millersche Indizes zuordnen und anfangen irgendwelche Kugeln zu malen?
\quoteoff
Über die Beugungsordnung kann man auf die Ebenenscharen kommen und darüber wiederum auf die Miller-Indizes. Ich bin da jetzt allerdings auch nicht mehr so sattelfest, wie ich es mal war.
Mit "irgendwelche Kugeln" meinst du wohl die Ewald-Konstruktion?
\quoteon(2016-04-04 20:25 - didubadap im Themenstart)
Kann mich jemand dazu auf Quellen verweisen, die auf extrem vereinfachten Niveau die Experimente beschreiben?
\quoteoff
Extrem vereinfachen heißt auch immer, dass man immer mehr Informationen, auch wichtige, wegfallen lässt. Wenn du dich dem ganzen Thema auf Universitätsniveau stellen musst, kannst du damit schnell an Grenzen geraten. Du scheinst ja das Buch von Ibach/Lüth zu benutzen. Das ist jetzt auch nicht gerade die einsteigerfreundlichste Variante. Wärmsten empfehlen kann ich das Buch "Festkörperphysik" von Gross/Marx sowie das dazu passende Übungsbuch von den selben Autoren.
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Orangenschale
Senior  Dabei seit: 31.05.2007 Mitteilungen: 2282
Wohnort: Heidelberg, Deutschland
 | Beitrag No.2, eingetragen 2016-04-06
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Hallo,
das Buch der Bücher, wenn es um Festkörpertheorie geht:
G. Grosso & G. Parravicini, Solid State Physics
Für mich war es immer der Jackson der Festkörperphysik, auch wenn ich erst während der Promotion von diesem Buch erfahren habe.
Viele Grüße
OS
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didubadap hat die Antworten auf ihre/seine Frage gesehen. didubadap hat selbst das Ok-Häkchen gesetzt. |
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