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Eulersche Formel - Umwandlung |
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nzimme10
Senior  Dabei seit: 01.11.2020 Mitteilungen: 2620
Wohnort: Köln
 | Beitrag No.40, eingetragen 2021-06-07
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Ich versuche hier nochmal mein Glück und versuche dir nochmal klar zu machen worum es hier eigentlich geht.
Für $x>0$ betrachten wir die Funktion
$$
\ell\colon (0,\infty)\to \mathbb R, \ x\mapsto \int_1^x \frac 1t \ \mathrm dt.
$$
Da $t\mapsto 1/t$ auf $[1,x]$ bzw. $[x,1]$ für jedes $x>0$ stetig ist, ist $\ell$ nach dem Hauptsatz der Differential- und Integralrechnung wohldefiniert, stetig differenzierbar und es gilt $\ell'(x)=\frac 1x$ für jedes $x>0$. Diese reelle Funktion nennen wir den natürlichen Logarithmus und schreiben gerne auch $\ell(x)=\ln(x)$ für $x>0$ ($\ln$ steht dabei für logarithmus naturalis). Daraus erhalten wir schon eine der wichtigsten Eigenschaften des $\ln$:
$\textbf{Satz.}$ (Funktionalgleichung) Für alle $x,y\in (0,\infty)$ gilt $\ln(xy)=\ln(x)+\ln(y)$.
$\textbf{Beweis.}$ Sei $y\in (0,\infty)$ fest. Betrachte dann die Funktion $h\colon (0,\infty)\to \mathbb R, \ x\mapsto \ln(xy)-\ln(x)-\ln(y)$. Offenbar ist $h$ als Verkettung und Summe von differenzierbaren Funktionen differenzierbar und es gilt nach der Kettenregel
$$
h'(x)=\frac 1x-\frac 1x=0.
$$
Da $(0,\infty)$ zusammenhängend ist, ist $h$ also Konstant. Beachte nun, dass
$$
h(1)=\ln(y)-\ln(1)-\ln(y)=0
$$
und damit $h(x)=0$ für alle $x\in (0,\infty)$. Also gilt $\ln(xy)=\ln(x)+\ln(y)$, was zu zeigen war.
Dabei haben wir $\ln(1)=0$ verwendet, was nach unserer Definition unmittelbar klar ist:
$$
\ln(1)=\int_1^1 \frac{1}t \ \mathrm dt=0.
$$
Aus dieser Funktionalgleichung kann man nun so gut wie alle Eigenschaften des natürlichen Logarithmus herleiten und sie ist auch der Grund, warum Logarithmen lange Zeit so wichtig waren (Stichwort Rechenschieber).
Nun kann man etwas Analysis betreiben und beweisen, dass $\ln$ eine streng monoton wachsende, surjektive Funktion ist und damit beweisen, dass der $\ln$ eine Umkehrfunktion haben muss:
$\textbf{Definition & Satz.}$ Die eindeutig bestimmte Umkehrabbildung des natürlichen Logarithmus heißt die Exponentialfunktion: Also
$$
\exp\colon \mathbb R\to(0,\infty), \ x\mapsto \exp(x):=\ln^{-1}(x).
$$
Unmittelbar durch die Funktionalgleichung des $\ln$ erhält man dadurch
$\textbf{Satz.}$ (Funktionalgleichung) Für alle $x,y\in \mathbb R$ gilt $\exp(x+y)=\exp(x)\exp(y)$.
Und auch dieses mal erhält man so ziemlich alle bekannten Eigenschaften der Exponentialfunktion durch diese Funktionalgleichung, was ich aber hier nicht weiter vertiefen möchte.
Betreibt man nun wieder etwas Analysis, so zeigt sich, dass man die Exponentialfunktion auch durch eine Potenzreihe darstellen kann, d.h. für alle $x\in \mathbb R$ hat man
$$
\exp(x)=\sum_{n=0}^\infty \frac{x^n}{n!}.
$$
In diese Reihe macht es aber durchaus auch Sinn komplexe Zahlen einzusetzen! In der Tat ist obige Reihe sogar für jede komplexe Zahl $z\in \mathbb C$ konvergent und wir können daher auf natürliche Weise die reelle Exponentialfunktion auf die komplexen Zahlen fortsetzen:
$\textbf{Definition.}$ Die komplexe Exponentialfunktion ist gegeben durch
$$
\exp\colon \mathbb C\to \mathbb C^*:=\mathbb C\setminus\lbrace 0\rbrace, \ z\mapsto \sum_{n=0}^\infty \frac{z^n}{n!}.
$$
Wir schreiben hier zwar auch $\exp$, aber man sollte unbedingt beachten, dass wir es jetzt mit einer anderen Funktion zu tun haben! Offenbar stimmt diese "neue" Funktion aber auf den reellen Zahlen mit der "alten" Funktion überein. Unter anderem sieht man auch im komplexen z.B. über das Cauchy-Produkt schnell ein, dass die Funktionalgleichung auch für alle $z,w\in \mathbb C$ gilt, d.h. es ist $$
\exp(z+w)=\exp(z)\exp(w)
$$
für alle $z,w\in \mathbb C$.
Kurze Rekapitulation: Wir haben den $\ln$ über ein Integral definiert und durch etwas Analysis kann man schnell zeigen, dass $\ln$ bijektiv und daher invertierbar ist. Die dadurch existierende Umkehrfunktion haben wir die Exponentialfunktion genannt. Durch etwas mehr Analysis kann man eine Reihendarstellung dieser Funktion finden und diese Funktion damit sogar auf die gesamten komplexen Zahlen fortsetzen.
Nun kommen wir zur entscheidenden Frage: Können wir für diese auf ganz $\mathbb C$ definierte Exponentialfunktion auch wieder einen natürlichen Logarithmus finden? Wir hätten gerne eine Funktion
$$
\ell\colon \mathbb C^*\to \mathbb C
$$
mit $\ell=\exp^{-1}$. Hier beginnen aber bereits die Probleme, auf die wir dich mehrfach hingewiesen haben. Man überlegt sich tatsächlich sehr leicht, dass die komplexe Exponentialfunktion nicht injektiv ist (d.h. sie nimmt manche Funktionswerte mehr als ein mal an) und daher gar keine Umkehrfunktion besitzt! Ein Analogon zum $\ln$ wie im Reellen können wir damit vergessen und müssen uns mit weniger zufrieden geben. Man könnte sich zum Beispiel überlegen ob man einen analogen Ansatz wie im Reellen über ein Integral wählen kann? Da muss man aber erstmal überlegen was so ein Integral in $\mathbb C$ überhaupt bedeuten soll und welche Funktionen man dann überhaupt integrieren kann. Auch muss man sich fragen, ob es einen geeigneten Ableitungsbegriff für solche Funktionen auf $\mathbb C$ gibt?
An dieser Stelle beginnt die Funktionentheorie, auf die dich Diophant unter anderem schon mehrfach hingewiesen hat. Wenn du es also wirklich verstehen willst, warum das nicht funktioniert was du vor hast, dann schnapp dir irgendein Buch über Funktionentheorie! Ich denke es gibt kaum eine mathematische Disziplin über die mehr Bücher geschrieben wurden und werden, als über Funktionentheorie.
Solltest du noch weitere Fragen haben, dann melde dich einfach wieder.
LG Nico
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